Weber, Carl Maria von

Der Dresdner Freischütz für das “Weber-Jahr 1951”

3 CDs

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Profil/Edition Günter Hänssler PH10032
erschienen in: das Orchester 11/2012 , Seite 83

Man nehme eine monofone Bandaufnahme des Mitteldeutschen Rundfunks, die erste Gehversuche einer räumlichen Klangwirkung widerspiegelt, und bearbeite die Dialoge pseudostereofon. Herausgekommen ist ein Freischütz, der von Rudolf Kempe und der Staatskapelle Dresden erwartungsgemäß in höchster Spielqualität dargeboten und von einem überwiegend präzise und klangdifferenziert agierenden Staatsopernchor sowie einer durchweg hochkarätigen Solisten-Besetzung flankiert wird. Allen
voran Elfride Trötschel (als Agathe), die mit hell und voll edler Anmut gestimmtem Timbre in ihrem eindringlichsten Auftritt im zweiten Akt (und nicht – wie im Booklet versehentlich aufgeführt – im ersten) und in der Kavatine des dritten Akts einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Irma Beilke als Ännchen steht ihr kaum nach, was vor allem in der schelmisch-verzückten Ariette im zweiten und – dramatisch-wandlungsfähig – in Romanze, Rezitativ und Arie im dritten Akt zu hören ist. Bernd Aldenhoff dagegen fällt mit seiner stark abgedunkelten heldentenoralen Stimm- und Vokalfärbung mehr negativ, teilweise fast komisch ins Gewicht. Umso mehr kann Kurt Böhme als Kaspar überzeugen, vor allem wenn er zum finsteren Dämon aufsteigt. Doch hinterlässt gerade die markante Wolfsschlucht-Szene einen zwiespältigen Eindruck: Der einleitende Geister-Chor mutet weniger schaurig an als die Intonationsdefizite der Männerstimmen, und wenn sich das Gewitter in seiner ganzen Gewalt entlädt, bleibt die orchestrale Klanggewalt aus und gleicht eher einem Echo.
Und eben dies kann als generelles Defizit dieser Produktion angesehen werden: Die Instrumentalstimmen bleiben (bis auf die Solostellen) gegenüber den Gesangs- und Sprechstimmen zurück, so als verhindere ein dämpfender Grauschleier die zwingende Schärfe und innovativ-leuchtende Farbkraft von Webers Orchesterklang. Ob die Restaurierung der historischen Bänder entscheidend “zu einem emotionell gesteigerten Hörerlebnis” (so der damalige Toningenieur Gerhard Steinke im Booklet) beiträgt, hängt somit wohl eher von der Perspektive ab. Das umfangreiche Booklet bietet einige Hinweise zur Produktion der Ur-Aufnahme, zahlreiche Skizzen und Zeichnungen zu Bühnenbildern sowie Szenenfotos von entsprechenden Dresdner Inszenierungen der Zeit dagegen finden in der “Studio”-Aufnahme keinen Widerhall; weitere Bonus-Tracks – Ausschnitte aus einer Freischütz-Produktion von 1944 (eine Aufnahme des Reichsrundfunks auf der Bühne der Semperoper) sowie ein Rundfunkgespräch mit Bühnenbildner Karl Appen von 1965 – sind ebenso schmückendes Beiwerk. Erläuterungen zu Schlüsselszenen, Charakterzeichnungen, einem durch Briefe und Tagebuch ergänzten “Blick in die Werkstatt des Komponisten” und auf die Dresdner Uraufführung (Texte aus dem Programmheft der Staatsoper Dresden zur Spielzeit 1951/52) geben wiederum tiefergehende Hintergrundinformationen zum Werk. Insgesamt also eher eine historisch-interpretatorisch interessante “Dresdner Freischütz”-Produktion.
Christoph Guddorf