Frey, Stefan / Deutsches Theatermuseum München (Hg.)
“Dem Volk zur Lust und zum Gedeihen”. 150 Jahre Gärtnerplatztheater
Eine gelungene Würdigung erkennt man daran, dass Unangenehmes nicht verdrängt oder verschwiegen wird. Der dicke, äußerst informative und lesenswerte, überdies liebevoll gestaltete, reich bebilderte Sammelband zum 150. Geburtstag des Staatstheaters am Gärtnerplatz verdrängt oder verschweigt nichts weder die düstere Zeit während des Nationalsozialismus, als München Adolf Hitlers Hauptstadt der Bewegung war, noch unglückliche oder gar gescheiterte Intendanzen. Eine umfangreiche Hausgeschichte ist herausgekommen, die viele Facetten diskutiert. Dabei geriert sich das Buch ganz gewollt theatralisch als Dreiakter.
Der erste Akt handelt von den Anfängen des Volkstheaters 1865 bis 1899 mit einem Zwischenakt zur Baugeschichte, die das Haus nicht zuletzt in die generelle städtebauliche Entwicklung Münchens einordnet. Im zweiten Akt wird die dezidierte Operettenbühne unter die Lupe genommen, die Zeit also zwischen 1899 und 1952, was zwangsläufig zugleich vom Aufstieg und Fall der Gattung Operette sowie des Nationalsozialismus kündet. Ein Intermezzo beleuchtet hier die spezifischen Entwicklungen des hauseigenen Orchesters und des Balletts.
Im finalen dritten Akt geht es um Münchens anderes Opernhaus, wobei die verschiedenen Intendanzen von 1952 bis zur aktuellen Gegenwart 2015 zu unterschiedlichen Lösungen kommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg markierte die Schwerpunktverlagerung von der Operette zur Opéra Comique einen Neuanfang, bis die ersten Musicals das Haus eroberten. Es folgten Alternativen, wobei gerade Klaus Schultz mit zeitgenössischem Musiktheater ganz besondere, aber auch kontrovers diskutierte Projekte realisierte.
Erst in diesem weitreichenden Kontext erscheint das Erfolgsrezept der aktuellen Intendanz von Josef E. Köpplinger umso klarer: Seit 2012 hat es der Österreicher spielerisch geschafft, die unterschiedlichsten Genres, Haltungen und Bühnensprachen zu befrieden. Und dies unter erschwerten Bedingungen, weil sich der Abschluss der Generalsanierung des Stammhauses nun weiter verzögert, voraussichtlich bis Oktober 2016. Demzufolge runden ein Epilog über die Wanderschaft zu einem neuen Profil sowie ein Prolog zum Thema Glücksschiff Gärtnerplatz die drei Hauptakte des Buchs ab.
Nach der Lektüre der Aufsätze und dem Durchstöbern der Bilder ist eines vollends klar: Das Gärtnerplatztheater ist eine einzigartige Bühne, weil sie im Grunde zugleich die Münchner Mentalität originär auf das Vortrefflichste spiegelt das Vermögen nämlich, sich Errungenschaften anzueignen, um sich und die Welt ganz eigen zu feiern. Das kann bisweilen plump wirken, ist aber liebenswürdig. Der Sammelband zum Gärtnerplatz-Jubiläum fungiert zugleich als Katalog zur gleichnamigen großen Ausstellung, die im Januar 2016 im Deutschen Theatermuseum in München eröffnet wurde und noch bis 10. April zu sehen sein wird.
Marco Frei