Hummel, Bertold
“Dem König der Ewigkeit”
Kantate für gemischten Chor und Instrumente (2 Oboen, 2 Fagotte, Trompete, Posaune und Kontrabass) op. 17 (1958), Partitur/Chorpartitur
Das kompositorische Schaffen von Bertold Hummel (1925-2002) ist geprägt durch seine Studien bei Julius Weismann und Harald Genzmer und gewiss auch durch seine Erfahrungen als professioneller Cellist. Nicht zuletzt als langjähriger Hochschullehrer und -direktor in Würzburg zeigte er sich auch stets neuen Entwicklungen aufgeschlossen. Die vorliegende Kantate entstand 1958 für einen Kompositionswettbewerb des Südwestfunks, erfüllte aber mit einem bis auf acht Stimmen aufgefächerten Chorsatz nicht die formalen Kriterien der Ausschreibung, wurde erst 1970 uraufgeführt und 1985 überarbeitet.
Die Texte sind dem Deutschen Psalter von Romano Guardini (1950) entnommen, der eine Annäherung an den Sprachgebrauch des 20. Jahrhunderts anstrebt. Eine veränderte Reprise der Einleitung am Schluss des vierten Satzes, die tonale Disposition sowie motivische Verknüpfungen in den Instrumentalstimmen der Binnensätze lassen eine symmetrische Anlage erkennen, deren zentraler dritter Satz von einem modalen Cantus firmus aus dem 16. Jahrhundert geprägt ist. Dieser durchläuft die Blechbläser- und Chorstimmen, wird dabei kombiniert mit prägnant archaisierenden Kontrapunktstimmen, wobei die einzelnen Choralzeilen in Satztechnik und Instrumentation abwechslungsreich behandelt werden. Die Holzbläser gliedern mit kurzen, prägnanten Einwürfen die einzelnen Abschnitte, wobei sie sich in stets wechselnden Intervallen imitieren. Die Chorstimmen sind weitgehend homofon geführt, die Männer- und Frauenstimmen oft in Oktaven; der Choral bewegt sich in strenger Geradlinigkeit, Melismen finden sich erst in der sechsstimmigen Schlusszeile. Ähnlich ist die Behandlung des Chores in den übrigen Sätzen, nur dass hier Synkopen und häufige Taktwechsel das rhythmische Profil schärfen. Der Duktus der Instrumentalstimmen ist weitgehend vokal geprägt, kleinere Soli, besonders von Oboe und Englischhorn, sind motivisch abgeleitet aus der vokalen Thematik. Ostinate Sechzehntelläufe illustrieren im zweiten Satz die Flüchtigkeit des menschlichen Lebens, von der im Text die Rede ist.
Markante Grundtöne (G am Anfang und am Schluss, D in der Mitte) schaffen ein stabiles tonales Gerüst, auf dem vielfach traditionelle Akkorde liegen, die jedoch durch Dissonanztöne oft mehrere gleichzeitig verfremdet werden. Die Melodik bewegt sich frei, manchmal sehr frei in der Aura der Kirchentonarten. Die Konturen des Chorsatzes erinnern an das Schaffen von Hugo Distler. Die technischen Anforderungen sind moderat und auch von einem guten Laienchor zu bewältigen. Wäre das Werk vor fünfzig Jahren, in der Zeit eines radikalen Fortschrittsglaubens, veröffentlicht worden, wäre ihm der Vorwurf des Eklektizismus sicher gewesen. Die Nachlese aus einem umfangreichen musikalischen Lebenswerk bedarf aus heutiger Sicht keiner Rechtfertigung, ist es doch dem Komponisten gelungen, Einfachheit und strukturelle Logik in idealer Weise miteinander zu verbinden und dies hörbar und verständlich zu machen. Geistliche Gebrauchsmusik unserer Zeit könnte besser nicht sein.
Jürgen Hinz