Werke von Reinhard Schwarz-Schilling, Wolfgang Amadeus Mozart, Peter Michael Hamel und anderen
Declamatory Counterpoint
Symphonia Momentum so lautet der Name eines Streichorchesters, das 2010 von dem Dirigenten und Musikwissenschaftler Christoph Schlüren ins Leben gerufen wurde. Im November desselben Jahres fanden einige Konzerte u.a. in München und Berlin statt, deren Programm nun zumindest größtenteils auf CD vorliegt. Zwei Grundprinzipien prägen die Arbeit des 20-köpfigen Ensembles: zum einen, getreu dem Motto der Konzerte Orient Occident, die Verbindung westlicher und östlicher Musiziertradition, zum anderen der Einsatz für weitgehend unbekanntes bzw. zu Unrecht vergessenes Repertoire von außerhalb des tradierten Kanons stehenden Komponisten wie Anders Eliasson, John Foulds und Reinhard Schwarz-Schilling. Dessen monumentales Streichquartett bildet denn auch gleichzeitig Schwerpunkt und Hauptentdeckung der CD.
Der 1985 verstorbene Schwarz-Schilling repräsentiert eine momentan kaum noch im Musikleben zur Diskussion gestellte Linie, die von der Weiterentwicklung der großen kontrapunktischen Tradition deutscher Herkunft geprägt ist Bach, Beethoven, Bruckner und deren gewichtigste Exponenten Heinrich Kaminski und sein Schüler Schwarz-Schilling darstellen. Der Komponist selbst bearbeitete den ersten Satz seines Quartetts für Streichorchester, die übrigen zwei Sätze transkribierte Christoph Schlüren eigens für die Konzerte der Symphonia Momentum, sodass nun eine genuine Streicher-Symphonie vorliegt. Es handelt sich um ein Werk von großer Abgeklärtheit und gleichzeitig tiefer Leidenschaft, herb im Ausdruck und unabhängig von Stilbegriffen wie Spätromantik und Moderne. Es gelingt dem Orchester, den rhetorischen Ausdruck der Musik ebenso mustergültig zu Klang werden zu lassen wie deren kontrapunktisch dichte Faktur: Nicht umsonst steht die CD unter dem Titel Declamatory Counterpoint.
Der Rest des Programms besteht aus einer Kombination von zeitgenössischen Werken und orchestralen Bearbeitungen klassischer Werke für Streichquartett namentlich des ersten Satzes von Mozarts Dissonanzen-Quartett und der Cavatina aus Beethovens op. 130. Zwischen diesen beiden Klassikern erklingen Peter Michael Hamels Ulisono dem Andenken an Hamels Kollegen Ulrich Stranz gewidmet , Anders Eliassons Solo-Violinstück In medias (meisterhaft vorgetragen von Rebekka Hartmann) sowie Arvo Pärts Orient & Occident, das geradezu symbolhaft für die Arbeit der Symphonia Momentum steht. Denn nicht nur in diesem Werk, sondern allenthalben und nicht zuletzt bei Mozart und Beethoven erleben wir ein Musizieren, das nicht nur von Professionalität und Leidenschaft geprägt ist, sondern auch für einen befreiten Ausdruck jenseits der Diktatur des Taktstrichs steht. Das Ideal der freien Rede, das von jeher (auch) die Kunst der Musik prägte: Hier steht es im Vordergrund und ist auch zum allergrößten Teil verwirklicht. Man darf gespannt sein auf weitere Veröffentlichungen der Symphonia Momentum mit Standardrepertoire ebenso wie Werken jener Komponisten, für die das Ensemble sich einsetzen möchte: Pehr Henrik Nordgren, Heinz Tiessen, Robert Simpson.
Thomas Schulz