Werke von Claude Debussy und Reynaldo Hahn

Debussy/Hahn

Christiane Karg (Sopran), Gerold Huber (Klavier), Max Hanft (Klavier), Chor des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Howard Arman

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 78

Natürlich finden sich unter den vom Chor des Bayerischen Rundfunks veröffentlichten CDs auch Standardwerke, etwa von Bach, Haydn oder Mendelssohn Bartholdy. Mit Howard Arman, seit 2016 künstlerischer Leiter des Chores, haben aber auch exquisite Novitäten Einzug in den Aufnahmekatalog gehalten: etwa das Miserere von Arvo Pärt, die weltlichen Chorlieder von Edward Elgar, die Urfassung des Stabat Mater von Antonín Dvořák. Nun betritt er mit seinem Vokalensemble, den Pianisten Gerold Huber und Max Hanft, der Sopranistin Christiane Karg sowie weiteren ­Gesangssolisten Neuland, überrascht mit Werken abseits des gängigen ­Vokalrepertoires: mit Musik für klavierbegleiteten Frauenchor bzw. Sopran von Claude Debussy und Reynaldo Hahn.
Die Musik des Venezolaners Hahn dürfte die eigentliche Überraschung der CD sein. 1874 in Caracas geboren, kam er in jungen Jahren nach Paris, besuchte – musikalisch begabt – ab 1885 dort die Klasse von Jules Massenet am Conservatoire. In Anwesenheit von Paul Verlaine wurde schon 1890 sein Liederzyklus Sept Chansons Grises (nach Texten Verlaines) uraufgeführt. Das sechste Chanson, „Paysage triste“ überschrieben, findet sich auch in Claude Debussys Ariettes oubliées als „L’ombre des arbes dans la rivière embrumée“ – eine reizvolle Kopplung auf dieser CD.
Spannend sind die Études latines von Hahn, der damit in den Pariser Salons reüssierte. Die reduzierte und karge, bisweilen archaische Musiksprache übt einen eigentümlichen Reiz aus; kein Trinklied ist je so schlicht gesetzt worden wie „Vile potabis“, das „simple, modéré“ vorzutragen ist. Zwischen deklamierendem Sopran und einstimmigem Klavier entspannt sich in „Salinum“ ein Dialog – satztechnischer Gegenpol zum neunten Lied der Sammlung Phidylé, besetzt mit Solobass, sechs Sopranen, vier Tenören und begleitet von vierhändigem Klavier.
Debussy ist mit der Kantate La damoiselle élue vertreten, wobei Howard Arman aus der Orchesterbegleitung und dem originalen Klavierauszug eine eigene Fassung für zwei Klaviere erstellt hat. Drei weitere Vokaltitel komplettieren den Debussy-Part der CD.
Interpretatorisch bleibt der BR-Chor mit Howard Arman seinem guten Ruf nichts schuldig: mit luftigen und schwebenden Klängen zeichnet das Ensemble die zerbrechlichen bis expressiven Linien der Debussy-Partituren, die schlichten rezitativischen Passagen der Hahn-Sätze nach. Imponierend, wie der Chor im Les angélus in einer ambitionierten A-cappella-Version von Clytus Gottwald die ursprüngliche Klavierbegleitung Debussys vergessen lässt.
Gerold Huber – am zweiten Klavier bzw. vierhändig von Max Hanft sekundiert – begleitet klangsinnig Chor wie Solostimmen, unter denen die Sopranistin Christiane Karg in den Einzelliedern mit zarter, aber auch aufblühender Gestaltung und nuancenreicher Modellierung weitere Glanzpunkte setzt. Die übrigen Solostimmen fügen sich in das Gesamtbild nahtlos ein. BR Klassik ist mit dieser CD ein großer Wurf gelungen.
Wolfgang Birtel