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„Dear Mademoiselle“ – A Tribute to Nadia Boulanger
Astrig Siranossian (Violoncello), Nathanaël Gouin/Daniel Barenboim (Klavier)
Als Komponistin, Dirigentin und vor allem Musikpädagogin bestimmte Nadia Boulanger (1887-1979) fast sieben Jahrzehnte lang das Musikleben. Diese neue CD zeigt sie sowie ihre Schüler und Freunde mit Werken für Violoncello und Klavier. Der Titel Dear Mademoiselle ist dabei eine liebevolle Formel, die namhafte Briefschreiber benutzten, wenn sie sich an ihre hochgeschätzte „maître de musique“ wandten.
Es beginnt mit Le Grand Tango von dem vor 100 Jahren geborenen Astor Piazzolla (1921-1992), dem Nadia Boulanger 1954 den entscheidenden Rat gab, sich kompositorisch auf seine Wurzeln im argentinischen Tango zu konzentrieren. Dem folgt die Suite italienne von dem vor 50 Jahren gestorbenen Igor Strawinsky (1882-1971), der mit „Mademoiselle“ über ein halbes Jahrhundert lang Briefe und künstlerische Anregungen austauschte. Die Cellofassung der Suite arrangierte Gregor Piatigorsky. „Mademoiselle“ selbst ist hier mit ihren Drei Stücken vertreten. Die viersätzige Sonate von Elliot Carter (1908-2012) steht auf der Kippe zwischen seiner neoklassizistischen und seiner avantgardistischen Schaffensphase.
Nach so viel ereignisreicher Musik kommt eine willkommene Entspannung mit dem minimalistischen Tissue („Gewebe“) Nr. 7 von dem 1937 geborenen Philip Glass. Der Chanson- und Filmmusikkomponist Michel Legrand (1932-2019) verdankte „Mademoiselle“ nach eigener Aussage „alles“: „Nadia Boulanger hat mir nicht nur die Musik, sondern auch das Leben, die Literatur und die Philosophie vermittelt.“ Auf der CD ist er vertreten mit einem Medley aus Peau d’âne, Les moulins de mon cœur und Les Parapluies de Cherbourg. Der beliebte Ohrwurm Soul Bossa Nova von Quincy Jones, Jahrgang 1933, ist hier der „Rausschmeißer“.
Die armenisch-französische Cellistin Astrig Siranossian und der gleichfalls noch junge französische Pianist Nathanaël Gouin spielen das alles mit viel Klarheit, Klangschönheit und Schwung. Leider zeigt die Cellistin immer wieder mehr Herzblut als Genauigkeit, insbesondere bei der korrekten Ausführung von Synkopen.
Für die Komposition von Nadia Boulanger wechselt die Position des Pianisten zu Daniel Barenboim, also einem nach Piazzolla weiteren ehemaligen Boulanger-Schüler aus Argentinien, und von La Chauxde-Fonds in der Schweiz in einen anderen erstklassigen Konzertsaal, nämlich den Pierre-Boulez-Saal in Berlin.
Die Werke von Philip Glass, Michel Legrand und Quincy Jones haben Astrig Siranossian und Nathanaël Gouin selbst wirkungsvoll für ihre Besetzung bearbeitet, diese dankbaren Arrangements bereichern das Cellorepertoire.
Ingo Hoddick