Werke von Béla Bartók

„De Profundis“

Nina Reddig (Violine), Miriam Oberlach (Harfe)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: GWK Records GWK 142
erschienen in: das Orchester 02/2019 , 70

Am Ende von Psalm 130 steht die Hoffnung, dass Gott Israel erlösen wird. Nina Reddig stellt an den Schluss ihrer CD mit dem nach diesem Psalm gewählten Titel De profundis Béla Bartóks Rumänische Volkstänze. Für den Hörer wirken die traditionellen Tanzrhythmen und Melodien der rumänischen Bauern als „Erlösung“ von einem Weg durch Musik, die letzte Tiefen menschlichen Daseins ergründet.
Bartók komponierte seine Sonate für Violine solo 1944, ein Jahr vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs und seines eigenen Todes. Er war damals schwer krank und litt unter der Vertreibung aus Europa. In seiner Solo-Sonate, die er Menuhin widmete, komponierte er für das primär auf Einstimmigkeit und Melodie ausgerichtete Instrument der Violine eine mehrstimmige, virtuell polyfone Musik, welche in höchster Expressivität die schrecklichen Erfahrungen der vergangenen Jahre widerspiegelt. Dabei führte er die transzendierte Mehrstimmigkeit in Bachs Solosonaten für Violine in der Neuen Musik weiter. Bachs Ciaccona, die in der Mitte dieses sehr überzeugend zusammengestellten CD-Programms erklingt, zeigt, wie Bartók von Bach ausgehend eine Tonsprache entwickelt hat, die dem 20. Jahrhundert entspricht.
Auch interpretatorisch ist diese Einspielung hervorragend. Sie hätte auch beinahe die Höchstpunktzahl erhalten. Aber die beiden ersten Sätze der Sonate für Solo-Violine von Bartók können nicht voll überzeugen. In beiden Sätzen vermisst der Hörer eine gestaltende Artikulation. Töne oder Akkorde werden einzeln hingestellt, nicht miteinander in Bezug gesetzt und klanglich nicht differenziert, sodass ein schwerer, teilweise gepresster Ton entsteht. Dadurch wirken weder das „Tempo di ciaccona“ noch die „Fuga“ als virtuelle Mehrstimmigkeit. Ihr geistiges Konzept kann der Hörer nicht nachvollziehen.
Ganz anders, nämlich wunderbar, musiziert dann Nina Reddig ab dem 3. Satz der Bartók-Sonate. Plötzlich hat ihr Bogenstrich Leichtigkeit und gewinnt dadurch die Flexibilität, nuancenreich zu artikulieren. Die Architektur von Bachs Ciaccona mit ihren verschiedenen Ebenen und Schichten arbeitet sie eindrucksvoll heraus. Hier ist ihr Spiel „sprechend“ und der Violinton kann trotz höchster Virtuosität noch immer atmen und singen.
Die Bearbeitung der Rumänischen Volkstänze für Violine und Harfe durch Nina Reddig und Miriam Overlach überzeugt durch eine Klanglichkeit, die der rumänischen Volksmusik nahekommt. Miriam Overlach entlockt nämlich ihrer Harfe einen festen und rhythmisch präzisen Ton, der ein wenig an das Zymbal erinnert. Wenn die beiden zusammen musizieren, entführen sie den Hörer aus dem Bereich höchster Kompositionskunst bei Bach und Bartók in die scheinbar einfache Musik des Volks, deren Melodien und Rhythmen elementar und ganz direkt wirken.
„Erlösung“ erscheint hier als Weg zurück ins Ursprüngliche – eine wunderbare Einspielung, der man viele Hörer wünscht!
Franzpeter Messmer