Parzival

David – The Hymn

130 musicians from 23 countries

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Hypertension-Music
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 75

Anfang der 1970er Jahre versuchte die deutsche Rockmusik eigene Wege zu gehen. Der Krautrock verband den angloamerikanischen Rock mit deutschen und europäischen Einflüssen. Mit dabei war die Band Parzival, deren Frühsiebziger-Werke heute Legenden-Status genießen. Klassik, Folklore, mittelalterliche Sagen und mehr fanden ihren Weg in die Musik dieser Band, die jetzt, nach 50 Jahren, mit einem neuen Album am Start ist.
Von der Originalbesetzung übrig geblieben ist nur noch Sänger und Drummer Thomas Olivieri. Mit Unterstützung des Produzenten Dieter Faber hat er eine Menge Künstler:innen um sich geschart: 130 Musiker:innen aus 23 Ländern – darunter unter anderem Mitglieder des NDR Elbphilharmonie Orchesters, des Festspielorchesters Bayreuth und des Deutschen Filmorchesters Babelsberg, aber auch Größen aus der Welt des Rock und Pop wie Santana, Prince und die Backstreet Boys – intonieren 23 Songs, in denen die Sehnsucht nach friedlicher Gemeinschaft und Liebe sowie eine kritische Sicht auf Jetztzeit und Flüchtlingskrise dargestellt werden. Großes Kino, Bombast statt Kammermusik heißt also die Devise.
Musikalisch wird ein großer Bogen gespannt. Am besten gefallen mir die eher folkigen Momente wie in Man In The Tower, wo Parzival gar nicht deutsch, sondern eher englisch/amerikanisch klingen. Thomas Olivieri überzeugt auch im gesetzten Alter noch als Sänger, und eine dezentere Instrumentierung steht seiner Stimme gut.
In anderen Songs mit hoher Frauenstimme und Orchester wie in Keep Your Eyes On Us wird es schnell pathetisch und klingt nach Fantasyfilm-Soundtrack. Hin und wieder erinnert die Musik auch an britischen Vaudeville und die Beat-Exzentriker The Kinks. Ein Anspieltipp wäre der Song Never. Zur sparsamen Begleitung von Kontrabass, Besen-Schlagzeug und geschmackvollen Streichern entfaltet Olivieris Stimme ihre volle Wirkung und erzeugt schöne Roadmovie-Atmosphäre.
Doch das musikalische Potpourri geht weiter. World Music-Anklänge in Rain Dance und Emayove, Flamenco in Juanita, Mittelalter-Folk und Flöten in Wind Blows, Orchester-Pathos in Break Of Dawn und 80er-Keyboards mit gepfiffener Melodie bieten dem Hörer eine ganz schöne Bandbreite. Persönlich bin ich froh, wenn Orchester, Flöten, Keyboards und Breitwand-Chöre verstummen und Olivieri nur von einer sparsamen Band oder Akustikgitarre begleitet wird. Aber das ist Geschmacksache und wer nach so langer Zeit noch so viel kreative Ausdauer beweist, verdient Respekt.
Ein Doppelalbum für Krautrocker, Althippies, Metalfans und Mittelalter-Markt-Besucher:innen mit gelegentlichen Ausflügen in Americana-Gefilde. Eine gehörige Portion Pathos und Drama gibt’s kostenlos dazu.
Martin Schmidt