Erich Wolfgang Korngold
Das Wunder der Heliane
Annemarie Kremer, Aris Argiris, Ian Storey, Katerina Hebelková, Frank van Hove, Nutthaporn Thammathi, György Hanczár, Philharmonisches Orchester Freiburg, Ltg. Fabrice Bollon
Der Anfangserfolg von Erich Wolfgang Korngolds Oper Das Wunder der Heliane mit ihren hybriden Anforderungen ist legendär. Nach einer Pause von mehreren Jahrzehnten und der einer Rehabilitation gleichkommenden Einspielung John Mauceris in der Decca-Reihe „Entartete Musik“ (1992) häufen sich die Wiederaufführungen: so an der Deutschen Oper Berlin 2018 und konzertant in Lübeck 2019. Auch diese Freiburger Einspielung entstand nach einer konzertanten Aufführung.
Das 1927 in Hamburg und Wien herausgekommene Opus akkumuliert die Klang-Apparaturen von Elektra und Die Gezeichneten. GMD Fabrice Bollon versucht die Partitur mit ihren pathetischen Chorflächen, lauten Gesangsbögen und exorbitanten, kräftezehrenden Herausforderungen kultiviert zum Klingen zu bringen. Hans Müllers Textbuch nach dem Schauspiel Die Heilige von Hans Kaltnacker spielt in einem totalitären Staat. Heliane, die Frau des Despoten, wird nach ihrem Tod mit der Lichtgestalt eines sich zur Bewahrung ihrer Integrität erdolchenden Fremden vereint. Ein erotisches Mysterium mit einem aufwändigen Zeichenvorrat aus Expressionismus, Lebensreformbewegung und Symbolismus.
Diese Oper des jüdischen Komponisten Korngold wurde nach der Uraufführung von der konservativen Presse als vorbildliches Werk gegen die „Jazz-Oper“ Jonny spielt auf des Katholiken Ernst Krenek verherrlicht – eine in der ideologischen Entwicklung zum Nationalsozialismus wohl einmalige Konstellation.
Als Zeitdokument der 1920er Jahre bleibt Das Wunder der Heliane faszinierend. Denn wie im Fall der Partitur von Kreneks Jonny spielt auf, in der Jazz nur eine von mehreren Ebenen auf Grundlage einer erweitert tonalen, spätromantischen Faktur ist, verschmelzen in Korngolds Oper die letzten übersteigerten Windungen der Wagner-Nachfolge mit Massenvisionen aus den Stummfilmen Fritz Langs und der sich aus den frauenverachtenden Kruditäten des Fin du siècle nur quälend langsam herausschälenden Veränderung der Geschlechterrollen.
Bollon wehrt sich gegen Korngolds kontrastreiche Kanten. Das macht seine Interpretation mit dem von Bernhard Moncado auf eine monumental prachtvolle Linie gebrachten Opernchor mit Extrachor sowie Freiburger Bachchor stellenweise zu charismatisch. Betrachtet aus rein musikalischer Perspektive ist das natürlich imponierend und im Sinn des auf extrem verkomplizierte Beziehungen spezialisierten Jung-Komponisten.
Annemarie Kremer, Ian Storey und Aris Argiris schweben, pulsieren, schwelgen über den instrumentalen Ballungen, in denen sogar harmonische Scharten eine wohlige Steigerung bewirken. Es fällt schwer, die angebrachte Skepsis im hier entfachten Rausch der opulent zelebrierten Maßlosigkeit nicht ganz zu vergessen. Das beste Gegenmittel zu Heliane ist Korngolds Operette Lied der Liebe frei nach Johann Strauß.
Roland Dippel