Ute Grundmann

Das Verschwinden der Kritik

Printmedien wenden immer weniger Zeit, Geld und Sorgfalt für ihre Kulturteile auf

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 10

Brauchen Musiker, Sänger oder Dirigenten die Reaktionen aus dem Blätterwald auf ihr Tun? Und wenn die ausbleiben, bleibt dann auch das Publikum weg? Ist die Kritik noch ein Maßstab für die Leistungen der Künstler?

„Ihre Suche ergab 0 Treffer.“ Gefragt war nach Feuilletonseiten in deutschen Tageszeitungen; immer häufiger bekommt man auf deren Websites diese „Null-Antwort“. Freiwillig ist solcher Rückgang der Kulturberichte ganz sicher nicht, eher schon ökonomischen Interessen und der Auswertung von Leser- und Klick-Umfragen geschuldet. Damit aber verliert ein wichtiger Spiegel und Resonanzboden für künstlerische Leistungen in Konzert- und Opernhäusern an Vielfalt und Verbreitung. Welche Erfahrungen haben Intendanten mit der Kritik in Fach- und Tagesmedien gemacht und welche Auswirkungen hat das auf die Häuser, die sie leiten?
„Es ist überall problematisch“, sagt Daniel Klajner, Intendant des Theaters Nordhausen. Zwar sei sein Haus in den Medien „ganz gut dabei“, aber generell sei das Erste, wo gespart werde, das Personal. „Ob in der Metzgerei, im IT-Bereich, im Theater oder eben bei den Zeitungen.“ Das Fachwissen sei nun mal teuer und werde „eingedampft, das spürt man rechts und links“. Klajner hat „das Gefühl, dass man in den Metropolen noch besser dabei ist, mit Fernsehstationen, die dann auch Standorte in kleineren Städten haben“. Gerade dort aber müsse man oft froh sein, in den Printmedien im Lokalteil vorzukommen, „aber das war früher auch schon so“.
Menschelnde Vorberichte statt nachträglicher Analyse einer Aufführung, Porträts im Plauderton statt kritischer Premieren­­­berichte – das machen Redaktionen schon länger gerne. Solche Berichte kann man auch gut hin- und herschieben, auf die Medienseite packen oder eben in den Lokalteil.

Die Rezeption verändert sich

Frauke Roth, Intendantin der Dresdner Philharmonie, mag und muss sich bisher nicht beklagen, sieht aber den Trend: „In unserer lokalen Presse ist das zwar noch nicht so. Generell ist die Tendenz aber ganz klar. Unser Kommunikationsbedarf steigt, in den klassischen Medien ist aber immer weniger Platz für fundierte Bericht­­erstattung beziehungsweise Kritik. Hinzu kommt, dass sich auch die Rezeptionsgewohnheiten unseres Publikums ändern. Man informiert sich (auch) über neue Kanäle, nutzt soziale Medien, das ist gesamtgesellschaftlich so und geht natürlich auch an unserer Branche nicht vorbei.“ Selbst in derjenigen Zeitung, hinter der laut Werbung kluge Köpfe stecken sollen, werden Rezensionen und kritische Berichterstattung zurückgefahren und stattdessen Mainstream-Themen und angesagte Debatten ausgebreitet – auf Seiten, über denen immer noch „Feuilleton“ steht.

Das Interesse der Öffentlichkeit ist da.

Die einst so geliebten und gefragten „Blättchen“ kämpfen ums Weiterbestehen. Welcher kritische Bericht über eine Theaterpremiere löst heute noch einen Skandal aus? Höchstens dann, wenn ein Schauspieler dem Star-Kritiker den Block aus der Hand schlägt. Den aber nehmen jüngere Menschen immer seltener zur Hand. Zwar wird gerne „was mit Medien“ angestrebt, studiert und ausgeübt, aber der Nur-Konzert-/Opern-/Theaterkritiker, der vom Schreiben auch leben kann oder aber fest angestellt ist, wird seltener. „Schlagt ihn tot, den Hund, er ist ein Rezensent“, wetterte einst Goethe. Heute aber hätte der Dichter und Theaterleiter wohl Mühe, einen „Kritikaster“ für seine Wutattacke zu finden.
Jens Neundorff von Enzberg, seit Spielzeitbeginn Intendant des Staatstheaters Meiningen und des Landestheaters Eisenach, ist in seinem Urteil erst mal vorsichtig: „Die Frage nach dem ‚Verschwinden der Kritik‘ ist für mich nicht so leicht zu beantworten. Grundsätzlich gilt: Kritik ist ein wichtiges Instrument der Kommunika­­­tion in der Kunst – sowohl für die Ausführenden als auch gleichermaßen für die Rezipienten. Spürbar ist tatsächlich auch, dass es ­immer weniger Kritiken und vor allem auch Kritiker gibt. Dabei ­befinden wir uns in einem medialen Zeitalter, in dem gefühlt alles bewertet und kommentiert wird. Ich bedauere es sehr, dass sich die Themenfelder zunehmend auf Bereiche außerhalb des Theaters hinbewegen.“
Und nicht nur Jens Neundorff fragt sich als Theaterverantwortlicher nach dem Warum: „In der Regel gibt es dann die Antwort, dass es letztlich ökonomische Zwänge sind, die zu einer geringeren Anzahl von Kritikern führen, was ich zutiefst bedauere.“

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2022.