Othmar Schoeck
Das Schloss Dürande
Berner Symphonieorchester, Ltg. Mario Venzago
Einige Schweizer Künstler profitierten stark von den Entwicklungen im „Dritten Reich“. Sie sprangen in die Bresche, nachdem jüdische und „entartete“ Kulturschaffende vertrieben waren. Zu ihnen zählt der Zürcher Komponist Othmar Schoeck, der von einer Oper nach Joseph von Eichendorff träumte – in den Augen der Nationalsozialisten der „deutscheste aller deutschen Dichter“.
Schoeck nahm sich Eichendorffs Novelle Das Schloss Dürande vor, die von einer ausweglosen Liebe in den blutigen Wirren der Französischen Revolution erzählt: Armand, Sohn des Herzogs Dürande, und die Schwester des Jägers können aus Standesgründen nicht zueinander kommen. Der Komponist tat sich mit dem Dichter Hermann Burte zusammen, einem eifrigen Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie. Vor allem Burtes mittelmäßiges, ideologisch infiltriertes Libretto trägt Schuld daran, dass Schoecks Oper heute als nicht mehr spielbar gilt. Zwar ist Burtes Text eigentlich unpolitisch, jedoch zeigt die mal brachiale, mal kitschige Sprache genau jene Merkmale, die Victor Klemperer als typisch für die Verbalverhunzung der „Lingua Tertii Imperii“ erkannte. Nach der Uraufführung, die 1943 an der schon teilweise zerbombten Berliner Staatsoper stattfand, hielt selbst Hermann Göring die schiefen Reime für „Bockmist“ und setzte die Inszenierung nach vier Aufführungen ab.
Um jedoch die hörenswerte Musik zu retten, hat nun ein Projekt der Berner Kunsthochschule für eine Neufassung mit stark überarbeitetem Libretto gesorgt. In Bern erklang der frisch renovierte Vierakter im Frühjahr 2018 konzertant; der Mitschnitt erscheint bei dem Schweizer Label Claves. Der Berner Schriftsteller Francesco Micieli hat die problematischen Passagen durch „echte“ Eichendorff-Verse ersetzt; der Dirigent Mario Venzago passte die neuen Gesangstexte in die Partitur ein.
Der Mitschnitt zeigt: Libretto und Musik sind beim Schloss Dürande nun auf einer Höhe. Othmar Schoeck erweist sich als Anhänger der spättonalen Musiksprache, zum Dunstkreis von Strauss, Zemlinsky und Korngold gehörend. Freilich hinkt Schoeck um Jahrzehnte aktuellen Entwicklungen hinterher, jedoch enthüllt das Berner Symphonieorchester unter Mario Venzago die intensive Sogkraft seiner dramatischen Komposition. Souverän arbeitet sich Venzago durch die atmosphärisch dichten, spätromantisch opulenten Klänge. Er bringt den süffigen Farbenreichtum der Partitur zur Geltung und leuchtet leisere Passagen behutsam aus, sodass die Sänger einfühlsam getragen werden.
Das vielköpfige Solisten-Ensemble agiert ausdrucksstark und deutlich artikulierend in diesem „naturbelassenen“ Konzertmitschnitt. Die glühende Poesie der beiden Liebenden (Sophie Gordeladze/Uwe Stickert) steht im effektvollen Gegensatz zum abgebrüht zynischen Bariton des Jägers (Robin Adams). Man wünscht dieser „entnazifizierten“ Eichendorff-Oper einen Platz im regulären Betrieb. Den Anfang machte im März das Meininger Theater mit einer szenischen Erstaufführung der Neufassung.
Antje Rößler