Kuskin, Karla

Das Orchester zieht sich an

Eine musikalische Lesung mit Christian Brückner und dem Gürzenich-Orchester Köln unter der Leitung von Markus Stenz mit Musik von Felix Lange, Hörbuch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Cbj 0194785RDH
erschienen in: das Orchester 01/2010 , Seite 65

Das Ganze ist an sich eine reizende Idee: Kindern (und vielleicht auch erwachsenen Konzertbesuchern) soll deutlich gemacht werden, dass die festlich gekleideten und befrackten Musikerinnen und Musiker auf dem Podium ganz normale Menschen sind, die einfach nur ihrer Arbeit nachgehen. Sie arbeiten halt nur zu einer Zeit, in der andere Menschen frei haben.
Sehr präzise ist notiert, wie viele der insgesamt 105 Musiker sich waschen, duschen oder baden. Sogar die Zahl der Männer, die Boxershorts oder Slips anziehen, ist verzeichnet, bei den Frauen wird die komplizierte und unterschiedlich gestaltete Unterwelt der Trikotagen sehr ausgiebig besprochen. Und auch was darüber folgt, ist der amerikanischen Autorin viel Erwähnung wert. Selbst die diverse Wahl der Strümpfe bei Männern und Frauen bekommt eine ausführliche Kommentierung. Dann folgt die Logistik des Aufbruchs zum Konzerthaus auf den verschiedensten Wegen und mit den diversen Verkehrsmitteln. Man entledigt sich seiner Garderobe und seiner Instrumentenkoffer, um dann pünktlich zusammen auf dem Podium zu erscheinen. Eine gesonderte Erwähnung bekommt immer wieder der Mann mit dem besonderen Aussehen und dem qualitativ besseren Outfit: es stellt sich heraus, dass dies der Dirigent ist.
Verpackt ist dies alles in einer sehr nett illustrierten CD-Hülle. Die perfekte Märchenonkel-Stimme von Christian Brückner macht aus dem Stoff reizende Szenen, die eingebettet sind in eine modern-sinfonische Welt von Marius Felix Lange, dessen Musik mit der Zeit immer traditioneller wird. Das ganze Ereignis dauert knapp 30 Minuten und endet mit dem vom Gürzenich-Orchester unter Markus Stenz hervorragend musizierten Finalsatz der C-Dur-Sinfonie KV 551 von Mozart.
Hier kommt schon das erste Fragezeichen: Wieso beginnt das fiktive Konzert mit einem Schlusssatz? Die anderen Fragen sind gewichtiger. Bereiten sich Musikerinnen und Musiker nur durch alltägliche Waschungen und Bekleidungen auf den Abend vor? Gehen sie nur einer Arbeit nach, die einen äußeren Aufwand braucht? Kann man nicht auch Kindern schon beibringen, dass mentale und spieltechnische Vorbereitungen genauso wichtig sind, dass erst tägliches Üben eine solche „Arbeit“ möglich macht? Kinder, die selbst musizieren und für gelegentliche Vorspiele üben müssen, sollten wissen, dass auch Profis von solchen Pflichten nicht befreit sind. Vielleicht sind solche Informationen wichtiger als die Frage, aus welchem Stoff die Fliegen sind.
Also insgesamt eine reizende Idee, aber mit Fragezeichen. Oder ist das schon wieder zu deutsch gedacht?
Wolfgang Teubner