Henri Gourdin
Das Mädchen und die Nachtigall
Roman
Henri Gourdin, der einige Biografien verfasst hat (u.a. über Delacroix oder Casals), schrieb mit Das Mädchen und die Nachtigall seinen ersten Roman. Erzählt wird die Geschichte der jungen Katalanin Maria Soraya, die als Tochter republikanischer Eltern nach der Einnahme Barcelonas durch die Franco-Truppen im Januar 1939 in die französischen Ost-Pyrenäen fliehen muss. Als Waise kommt sie ins Lager Argelès, aus dem sie von einer Bäckerfamilie als Zwangsarbeiterin angefordert wird, um Brot zu verkaufen.
Den Hauptteil des Buchs nimmt ihr Versuch einer Assimilation an ihre neuen Lebensbedingungen ein, sprachlich, mental, politisch, dabei stets unter der Gefahr von der Polizei der kollaborierenden Pétain-Regierung abgeholt oder umgebracht zu werden. In dieser Situation erduldet sie Anfeindungen und Übergriffe des Bäckers, gewinnt aber auch Vertraute wie einen Priester oder die Tochter des Bürgermeisters. Diese Ambivalenz zeigt Gourdin durch klare Personencharakteristik auf.
Der Titel des Romans entstammt einer Klavierballade aus Enrique Granados’ Zyklus Goyescas. Das hier ausgesparte erste Wort des Titels (Quejas, Klagen) trifft Marias Zustand, doch nur anfänglich. Es stellt sich heraus, dass sie früher Klavier spielte (sie spielt dieses Stück dann auch in der Romanhandlung), ebenso Cello, sogar Schülerin von Pau Casals war. Sie findet heraus, dass dieser im nahegelegenen Prades lebt. Casals ermutigt sie, ihr Cellospiel wiederaufzunehmen und gibt ihr einzelne Stunden an freien Samstagen, für die sie in Ermangelung eines Instruments nicht üben kann. Casals tritt als väterlicher, etwas gebrechlicher Freund auf, seine Leistungen als Musiker werden im Roman angedeutet (z.B. in der Schilderung seines letzten Dirigats der 9. Symphonie Beethovens, deren Aufführung bereits untersagt war), mehr wird seine humanistische, antifaschistische Grundhaltung thematisiert, seine Hilfsaktionen, seine Verbundenheit mit Katalonien.
Der Roman liest sich flüssig, vereinzelt treten Holprigkeiten auf („Meine ersten Erinnerungen fallen ungefähr mit dem Eintritt Spaniens und insbesondere Kataloniens in einen bedeutenden Moment ihrer Geschichte zusammen“). Eine Liebesgeschichte mit einem Flieger, der sich de Gaulle anschließt, bleibt eher Episode. Das erste Wiedersehen mit Casals in Marias geträumtem Gebet an die Eltern im Himmel zu verarbeiten, wird nicht jeden Geschmack treffen.
Der Autor orientiert sich entlang der recherchierten Daten, welche im Anhang abgedruckt sind, die manchen Passagen des Romans einen fast lexikalischen Anstrich geben. Die auf dem Klappentext angedeutete Widerstandsarbeit wird erst im Schlusssatz, in dem Maria Casals gegenüber ihr Kommen ankündigt, angedeutet.
In diesen Roman spielt Musik eine wichtige Rolle, doch nicht die wichtigste. Lesenswert ist er für diejenigen, die Interesse haben an der historischen Situation zwischen Frankreich und Spanien (und damit auch Deutschland) nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs.
Christian Kuntze-Krakau