Gustav Mahler

Das Lied von der Erde

Sarah Connolly (Mezzosopran), Robert Dean Smith (Tenor), Rundfunk- Sinfonieorchester Berlin, Ltg. Vladimir Jurowski

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Pentatone
erschienen in: das Orchester 02/2021 , Seite 67

1907 war für Gustav Mahler ein schicksalhaftes Jahr: Nach antisemitischer Hetze trat er als Direktor der Wiener Hofoper zurück, seine vierjährige Tochter Maria Anna starb an Diphterie und bei ihm selbst wurde eine ernsthafte Herzerkrankung diagnostiziert. In dieser Situation dachte er daran, dass viele Komponisten wie Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Anton Bruckner ihre neunte Symphonie nicht überlebt hatten, und nannte sein neuntes symphonisches Werk daher vorsichtshalber Das Lied von der Erde mit dem Untertitel „Eine Symphonie für Tenor- und Alt- (oder Bariton-)Stimme und Orchester nach chinesischen Gedichten in der Übertragung von Hans Bethge“.
In weiten Teilen entstand das neue Werk im Sommer 1908 in Alt-Schluderbach bei Toblach in Südtirol. An den Dirigenten Bruno Walter, der dann 1911 die Uraufführung leitete, schrieb Mahler: „Mir war eine schöne Zeit beschieden und ich glaube, dass es wohl das Persönlichste ist, was ich bis jetzt gemacht habe.“
Dieses Meisterwerk verschränkt die Gattungen Liederzyklus und Symphonie: Das erste Lied („Das Trinklied vom Jammer der Erde“ mit Tenor-Solo) und das letzte (das ausgedehnte Final-Adagio „Der Ab-schied“ mit Alt) haben mehr oder weniger Sonatensatzform, dazwischen kommen abwechselnd je zwei lyrische (Nr. 2 „Der Einsame im Herbst“ und Nr. 4 „Von der Schönheit“, beide mit Alt) und scherzhafte Sätze (Nr. 3 „Von der Jugend“ und Nr. 5 „Der Trunkene im Frühling“, beide mit Tenor). Inhaltlich geht es um die ewig wiederkehrende Fülle des Lebens.
Dieser Konzertmitschnitt vom 14. Oktober 2018 aus der Philharmonie Berlin zeigt das Rundfunk- Sinfonieorchester Berlin klar leuchtend und mit eindrucksvoll souveräner Kenntnis dieser komplexen Partitur. Sein Chefdirigent Vladimir Jurowski macht hier hörbar, dass er seit drei Jahrzehnten davon träumte, Das Lied von der Erde einzustudieren. Auch die Gesangs-solisten Sarah Connolly und Robert Dean Smith erscheinen weitgehend auf der Höhe.
Schade nur, dass Mahlers recht anschauliche Tempovorschriften zwar teilweise umgesetzt, aber auch teilweise ignoriert werden, zum Beispiel wirkt „Der Einsame im Herbst“ kaum „etwas schlei-chend, ermüdet“, wie es darübersteht, sondern reichlich geschäftig, wodurch auch der Unterschied zum Binnen-Kontrast-Tempo „fließend“ nicht deutlich genug wird.
Außerdem erscheint die Aufnahmetechnik von Deutschlandfunk Kultur etwas zu pauschal, sodass die reiche kammermusikalische Auffächerung als ein wesentliches Merkmal dieser Komposition hier ein wenig zu kurz kommt. So manches filigrane Holzbläser-Detail verschwindet im Gesamt-klang – sobald mehrere Schichten gleichzeitig ablaufen, wird es undurchsichtig.
Ingo Hoddick