Gustav Mahler
Das Lied von der Erde
Magdalena Kožená (Mezzosopran), Stuart Skelton (Tenor), Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Simon Rattle
Die Musik Gustav Mahlers bildet einen der großen Schwerpunkte im Repertoire des Dirigenten Simon Rattle – und das schon seit Jahrzehnten. Bereits als junger Chefdirigent des City of Birmingham Symphony Orchestra hat er in den 1980er Jahren begonnen, Werke Mahlers einzuspielen – darunter auch die von Deryck Cooke vervollständigte Zehnte, für die er sich intensiv eingesetzt hat und einsetzt.
Das existenziell aufwühlende Spätwerk Mahlers hat es dem Dirigenten ohnehin getan. So verwundert es nicht, dass jetzt nach 23 Jahren eine neue Aufnahme des Lieds von der Erde vorliegt. In Birmingham hatte Rattle für seine erste Aufnahme die sprödere Version mit Tenor und Bariton gewählt, in der Neueinspielung singen eine Mezzosopranistin, Rattles Gattin Magdalena Kožená, und ein Tenor, der zuletzt besonders in Wagner-Partien gefeierte Stuart Skelton. Rattle steht hier am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks bei dem Mitschnitt von Januar 2018. Das Münchner Orchester ist ein Mahler-Orchester mit Tradition, das unter Rafael Kubelik einst als erster deutscher Klangkörper alle Mahler-Symphonien aufgenommen hat. Lorin Maazel und Mariss Jansons setzten und setzen die intensive Mahler-Pflege fort.
Simon Rattle weiß die Mahler-Kompetenz des BR-Symphonieorchesters und dessen orchestrale Extraklasse in dieser Wiedergabe des Lieds von der Erde optimal zu nutzen. Der Dirigent hebt besonders die kammermusikalische Faktur in weiten Teilen des Werks hervor und durchleuchtet den Satz mit seltener Klarheit und Farbigkeit. Ohne sich in Einzelheiten zu verlieren, entfaltet Rattle die Partitur sehr detailgenau und wartet mit einer großen Fülle unterschiedlicher Klangvaleurs auf.
Doch ist dies nur eine Seite des Werks – und nur eine Seite von Rattles nachhaltiger Wiedergabe. Die andere ist der existenzielle Ausdruck der Musik, ist ihre Auseinandersetzung mit Abschied und Tod. In dieser Wiedergabe folgen die Solisten, das Orchester und der Dirigent sehr unmittelbar allen bewegenden emotionalen Regungen der Musik. Das ist in einem doppelten Sinn des Wortes Liedkunst in großem Format.
Magdalena Kožená überzeugt durch eine sehr ausgefeilte Textdiktion, eine plastische Tongebung und einen pathosfreien Vortrag, bei dem sich die Erfahrungen der Sängerin mit Alter Musik spürbar auszahlen. Stuart Skelton meistert die immensen Anforderungen der Tenorpartie sehr eindrucksvoll. Mehr noch, er erweist sich in jeder Phase als ein überlegener und hoch intensiv agierender Gestalter seiner drei Stücke.
Diese neue Aufnahme setzt in der umfangreichen Diskografie des Werks Zeichen und dokumentiert eine vom ersten bis zum letzten Takt ausdrucksvolle und spannungsgeladene Deutung des Lieds von der Erde, die Mahlers unnummerierte Symphonie emotional und analytisch auf faszinierende Weise greifbar macht.
Karl Georg Berg