Spruytenburg, Robert

Das LaSalle-Quartett

Gespräche mit Walter Levin, mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: edition text + kritik, München 2011
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 68

Dieses Buch ist vor allem eine Hommage an Walter Levin, den Gründer und genialischen Primarius des LaSalle-Quartetts, das er vierzig Jahre lang auf höchstem Niveau führte. Obwohl ein wichtiger Schwerpunkt des Quartetts zeitgenössische Musik war – fast jedes Jahr wurde ein Kompositionsauftrag vergeben oder es wurden schon vorhandene Werke des 20. Jahrhunderts gespielt wie beispielsweise alle Quartette der Neuen Wiener Schule –, pflegten die LaSalles ebenso das klassisch-romantische Repertoire, allerdings nach denselben Kriterien wie die Moderne: gründliche Analyse und akribische Probenarbeit. Nie interessierte Levin der bloße Schönklang, sondern stets die Struktur eines Werks: Wann hat man je ein Brahms-Quartett so durchsichtig gehört, wann die Große Fuge von Beethoven so nachvollziehbar? Das gefiel nicht jedem.
Levin mit seiner steten Neugier und seinem unermüdlichen Elan war der Kopf des Quartetts, er bestimmte, was gelernt und gespielt wurde. Undenkbar, dass jemals die beiden Geiger ihre Plätze getauscht hätten, wie es jüngere Quartette gern praktizieren.
Der Autor ist Chemiker, musikalischer Laie also, der sich große Kenntnisse im Quartettspiel angeeignet hatte – ein Naturwissenschaftler, der sich mit dem analytischen Verstand von Levin auf gleicher Wellenlänge traf.
So ist der Untertitel des Buches „Gespräche mit Walter Levin“ wörtlich zu nehmen: Das ganze Buch besteht nur aus Gesprächen, die Levin und Spruytenburg in vielen Jahren miteinander geführt haben. Die Frage-und-Antwort-Form macht diese Biografie so lebendig: Man meint Walter Levin mit seiner impulsiven Art und seinen druckreifen Formulierungen in seinem wunderbar altmodischen Deutsch vor sich zu sehen. Auf diese Weise werden alle nur denkbaren Aspekte des Quartettspiels behandelt: Repertoire-Aufbau, Interpretation, Probenarbeit, Konzerte, Tourneen, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen – klar gegliedert und übersichtlich. Auch Persönliches kommt zu Sprache: So lesen sich die Jugenderinnerungen Levins – 1924 in Berlin geboren, 1938 nach Palästina und sieben Jahre später in die USA ausgewandert – wie die Kulturgeschichte einer längst vergangenen Epoche.
Die Register im Anhang sind mit größter Akribie zusammengestellt – alphabetische Repertoirelisten, Ur- und Erstaufführungen, Kompositionsaufträge, Häufigkeit der Aufführungen einzelner Werke oder eine vollständige Diskografie. Ein sorgfältiges Namensregister versteht sich von selbst. Beigegeben ist eine auf die unglaubliche Länge von fast sechs Stunden erweiterte Super-Langspiel-CD, die Hörbeispiele enthält, aber auch Gespräche auf Deutsch und Englisch, Diskussionen und Analysen.
Obwohl es sich vor 25 Jahren aufgelöst hat, ist das LaSalle-Quartett in der Musikszene durch seine vielen Schüler noch immer präsent: Bis zum vergangenen Herbst hat Levin vor allem in Basel und Lübeck junge Quartette unterrichtet, mit derselben unnachgiebigen Strenge, mit der er auch sein eigenes Quartett führte. In der mittleren und jüngeren Generation gibt es international kaum ein Quartett, das nicht irgendwann durch die Schule Levins gegangen ist. Dieser Aspekt kommt in dem Buch zu kurz.
Ursula Klein