Tröndle, Martin (Hg.)

Das Konzert

Neue Aufführungskonzepte für eine klassische Form

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: transcript, Bielefeld 2009
erschienen in: das Orchester 11/2009 , Seite 62

„Man muss das Konzert verändern, um es zu erhalten. Denn die Krise der klassischen Musik ist keine Krise der Musik, sondern eine ihre Aufführungskultur“, lautet eine der Kernaussagen dieses Buchs, das ein Muss ist für jeden, der sich Gedanken über die sinnvolle und notwendige Weiterentwicklung des Konzertwesens macht. Herausgeber Martin Tröndle hat im Frühjahr 2008 namhafte Autorinnen und Autoren aus Musikwissenschaft, Musikwirtschaft, aus Soziologie, Ökonomie und Kulturwissenschaften in zwei Veranstaltungen zur „Zukunft des Konzerts“ bzw. „Suche nach dem Publikum“ interdisziplinär zusammengeführt und deren Beiträge nun in einem gelungenen Sammelband zusammengefasst. Herausgekommen ist ein spannendes Konglomerat von Ansätzen und Sichtweisen darüber, wie die Aufführungskultur sinnvoll weiterentwickelt werden kann und muss.
Im ersten von insgesamt sieben Kapiteln geht es um das „Konzertwesen und seine Akteure“. Der Soziologe Gerhard Schulze beleuchtet die Entwicklung des Hörens von Musik und prophezeit dem Livekonzert im 21. Jahrhundert als einzigartigem Erlebnis eine gute Zukunft. Wirtschaftswissenschaftler Michael Hutter beschreibt den Einfluss ökonomischer Größen auf die Entwicklung des Konzertwesens. Seine Überlegungen zur Tarifpolitik gehen allerdings teilweise an der Realität vorbei und vernachlässigen die Tatsache, dass von den 133 deutschen Kulturorchestern über 80 Opernorchester sind, bei denen der Konzertbereich inhaltlich und ökonomisch eine völlig untergeordnete Rolle spielt. Heiner Gembris und Susanne Keuchel präsentieren die jüngsten Tendenzen der Besucherforschung und Publikumsentwicklung. Im zweiten Kapitel geht es um das Konzertereignis als einem „Moment kultureller Produktion“, im dritten werden verschiedene Konzertstätten untersucht und typisiert. Interessant ist die Unterscheidung Volker Kirchbergs zwischen außer-gewöhnlichen, traditionell-gewöhnlichen und „über-gewöhnlichen“ Konzertstätten, wobei Letztere meist durch eine spektakuläre Architektur gekennzeichnet sind. Mit „Kommunikation und Körperlichkeit“ ist das vierte Kapitel überschrieben, in dem u.a. Christian Kellersmann eine Lanze für die neue Musik als Zukunftspotenzial des Konzertbetriebs bricht.
Im fünften Kapitel werden die Themen angesprochen, die sich im gängigen Konzertgeschäft rasch in die Praxis umsetzen lassen und wohl die größten Innovationspotenziale freisetzen. Vor allem Markus Fein beschreibt sehr anschaulich die Entwicklung und Wirkung spannender Konzertdramaturgien, die das Publikum in besonderer Weise in das eigentliche Konzertgeschehen einbinden und hierdurch neue Wahrnehmungs- und Erlebnisebenen schaffen. In diesem Sinn beschreiben Beatrix Borchard, wie man Konzerte förmlich „inszenieren“ kann, und David Canisius, wie das Clubformat der „Yellow Lounge“ neue Zuhörerschichten erreicht. Kritische Anmerkungen zur eventorientierten Musikvermittlung von Matthias Sträßner finden sich im sechsten Kapitel. Am Ende jedes Kapitels finden sich Literaturverzeichnisse. Kleine Fehler stören (z.B. „TKV“ statt „TVK“), aber es überwiegt der sehr positive Eindruck des Buchs, dem man nur eine rasche Verbreitung wünschen kann.
Gerald Mertens