Hartmann, Annette / Monika Woitas (Hg.)
Das große Tanzlexikon
Tanzkulturen, Epochen, Personen, Werke
Ein Lexikon ist ein Nachschlagewerk, so will es die Definition. Aber es kann auch mehr sein: ein Buch zum Schmökern, zum Verweilen, zum Weiter-Nachschlagen, zum Lustmachen auf bisher Unbekanntes, von dem man gar nicht ahnte, dass man es nicht wusste. Das große Tanzlexikon, herausgegeben von Annette Hartmann und Monika Woitas, ist so ein Werk. Man nimmt es in die Hand und verliert sich darin, denn das Wissen dort ist gut vernetzt.
Auch wenn das Umschlagfoto ein Abbild der wohl künstlichsten Ausprägung von Tanz in Form einer Ballettpose ist, hat das Lexikon sich zum Ziel gesetzt, alle Spielarten des Tanzes und angeschlossener Kunstformen in globalem Ausmaß zu beleuchten: Gattungen, Stile, gesellschaftliche, kulturelle, historische Entwicklungen und Einflüsse, Inhaltsangaben und Inszenierungen berühmter Ballette, Volkskunst und Bühnenkunst und nicht zuletzt Personen, die mit dem Thema zu tun haben oder hatten.
Natürlich erfährt der Leser Wissenswertes über Nurejew, den Sterbenden Schwan, Pawlowa oder Strawinsky, über Pavane, Pas de deux und über Balanchine und sein New York City Ballet. Aber er wird auch zum Beispiel mit dem Maloya bekannt gemacht, einer mehrdisziplinären Kunstform, die sich auf der Insel Réunion entwickelt hat. Er kann etwas über die Maskentänze der Dogon, einer Volksgruppe in Westafrika, lesen, die rund einhundert verschiedene Maskentypen und ebenso viele Schrittfolgen aufweisen. Ein Artikel über Kandinsky bringt den Gelben Klang und damit sein Kunstverständnis zur Sprache, dreizehn Seiten vorher ist über Michael Jackson und dessen Rezeption bei Fred Astaire die Rede.
Die Artikel, von einer stattlichen Anzahl von Experten einschließlich der beiden Herausgeberinnen verfasst, sind ausführlich, aber nicht ausschweifend, gut lesbar in den meisten Fällen, auf jeden Fall auf den Punkt gebracht, was das Leitthema Tanz angeht. So findet sich unter dem Stichwort Goethe nur Tanzrelevantes, etwa, dass der Dichterfürst nicht nur ein aktiver Balltänzer einerseits und literarischer Verwerter von Tanzmotiven andererseits war, sondern sich auch als Librettist und Arrangeur von Tanz- und Festzugsveranstaltungen engagierte.
Die Auswahl der Stichwörter lässt sich als vielfältig beschreiben, ohne den Verdacht der Beliebigkeit aufkommen zu lassen. Unter Dionysus gibt es einen Ausflug zu Nietzsche und dessen populär gewordener Prinzipienformulierung der dionysischen und apollinischen Kunstformen. Ein Artikel weiter wird Dirty Dancing behandelt. Und blättert man noch einmal um, erscheint der Begriff Divertissement mit seiner begriffsbedeutungsmäßigen Wandlung im Laufe der Jahrhunderte. Cha-Cha-Cha und Rumba wird man als eigene Artikel nicht finden, und dennoch werden diese zum festen Kanon des Gesellschaftstanzes gehörenden Tänze unter eben dem Begriff Gesellschaftstanz berücksichtigt. Schließlich wird auch eine spannende Frage geklärt: Wie, um Himmels Willen, schreibt man eine Choreografie auf? Zu lesen unter Notation.
Sabine Kreter