Schmidt, Franz

Das Buch mit sieben Siegeln

Klaus Florian Vogt (Tenor), Georg Zeppenfeld (Bass), Inga Kalna (Sopran), Bettina Ranch (Mezzosopran), Dovlet Nurgeldiyev (Tenor), Volker Krafft (Orgel), NDR Chor, Staatschor Latvija, Philharmoniker Hamburg, Ltg. Simone Young

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Oehms Classics OC 1840
erschienen in: das Orchester 07-08/2016 , Seite 73

Mit einem markanten Schlussstein beendete Simone Young im Sommer 2015 ihre zehnjährige Tätigkeit als Intendantin der Hamburger Staatsoper und als Chefdirigentin der Philharmoniker Hamburg. Stets hatte sie großen Wert auf die Pflege moderner Musik und selten aufgeführter Werke gelegt, und so war es denn ein angemessener Entschluss, am Ende mit dem Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln von Franz Schmidt eine Art Summe ihres Wirkens in der Hansestadt zu ziehen. Das Werk ist ein Prüfstein für Orchester und Chor, die hier hohen musikalischen Ansprüchen gerecht werden müssen – sei es in den machtvollen Beschwörungen des Weltendes, sei es im krassen Nebeneinander von Mordlust der Krieger und Flehen der Mütter, sei es im Schrecken des Chors über Untergang und Finsternis am Tag des Zorns, in der verhaltenen Innigkeit bei der Anbetung des heiligen Lammes oder in den Momenten äußerster Bedrängnis beim Erscheinen und Wüten der apokalyptischen Reiter.
Schmidt bewegt im streng strukturierten Rahmen des Werkganzen einen breit gespannten, hochdifferenzierten kompositorischen Apparat, der einerseits noch an die spätromantischen Farben seiner (bis auf das berühmte Intermezzo weitgehend vergessenen) Oper Notre Dame von 1914 erinnert, andererseits aber Strömungen der zeitgenössischen Avantgarde aufgreift und bisweilen die Grenzen der Tonalität durchbricht. Diese Zwischenstellung hat dem Komponisten schon zu Lebzeiten Kritik eingetragen, aber sie stiftet dem Oratorium gerade in ihrer virtuos eingesetzten Zwitterhaftigkeit einen besonderen Reiz, zumal Schmidt hier handwerklich fest in allen musikalischen Sätteln sitzt.
Die Aufnahme unter Simone Young setzt der Meisterschaft dieses Oratoriums aus der Offenbarung des Hl. Johannes und dem rigorosen Formwillen Schmidts eine perfekte Beherrschung und Durchdringung
der musikalischen Mittel entgegen. Ob in den subtilen harmonischen Verschränkungen, den rhythmischen Gratwanderungen, dynamischen Schattierungen oder Stimmungswechseln der Partitur zwischen lyrischen Momenten und großer dramatischer Gebärde – der Dirigentin gelingt mit ihren vorzüglichen Hamburger Philharmonikern eine schlüssige, packende Wiedergabe der Komposition, bei der insbesondere den ausgiebig geforderten Blechbläsern hoher Respekt gebührt.
Klaus Florian Vogt singt die anspruchsvolle Partie des Johannes mit einer souveränen Mischung aus Leichtigkeit und Kraft. Georg Zeppenfeld gibt der „Stimme des Herrn“ sonore Autorität, das hervorgehobene Quartett ist mit Inga Kalna, Bettina Ranch, Dovlet Nurgeldiyev und Georg Zeppenfeld hervorragend besetzt, und an der Orgel macht Volker Krafft namentlich die Solo-Vorspiele zu prägenden Höhepunkten. Nicht zuletzt aber ist es der großartige NDR Chor, der, verstärkt durch den Staatschor Latvija aus Lettland, dieses Oratorium mit seinen vertrackten Fugen (von der gewaltigen „Wasserfuge“ bis hin zur komplexen Quadrupelfuge in „Uns sind die Reiche“) und schwierigen Läufen, seinen schlichten Choralsätzen, seiner hoch expressiven Diktion und ergreifenden Eindringlichkeit zu einem nachhaltigen Hörerlebnis macht.
Rüdiger Krohn