Joachim Kremer/ Heinrich W. Schwab (Hg.)
Das Amt des Hofkapellmeisters um 1800
Bericht des wissenschaftlichen Symposiums zum 250. Geburtstag des dänischen Hofkapellmeisters Friedrich Ludwig Æmilius Kunzen (1761-1817)
Ein Fußtritt wie der des Salzburger Fürsterzbischofs Colloredo 1781 für diesen jungen, unangepassten Hofkapellmeister Mozart war nicht mehr möglich. Inzwischen hatte die Revolution von 1789 das Beziehungsgefüge zwischen Adel, Klerus und Bürgertum doch kritisch durchdrungen; Aufklärung und Napoleons Code civil wurden auch jenseits der von ihm eroberten Länder von der jeweiligen Intelligenzia wahrgenommen – trotz der parallel wieder erstarkenden Restauration.
Das Amt eines Hofkapellmeisters in diesem Spannungsfeld und der 250. Geburtstag von Friedrich Ludwig Æmilius Kunzen, der am dänischen Königshof in Kopenhagen als solcher tätig war, waren Thema einer Tagung und Stoff für ein Buch mit je einem Aufsatz zu den Hofämtern in Schwerin, Stockholm, Berlin, Wien, Eutin und Dresden. Etliche der Buchautoren waren sich dessen bewusst, dass sowohl musikwissenschaftliche Aspekte zu berücksichtigen waren als auch sozialgeschichtliche Fakten, die sich aber auf einige wenige Zahlen beschränken: etwa die Kürzung von Kunzens festen Bezügen von 2000 auf 1200 Gulden – was nur etwas aussagen würde, wenn Preise für Brot, Kleidung und Miete als Vergleichsgröße angegeben wären. Viele andere Zahlen wie anderweitige „Honorare“ oder Zuwendungen fehlen leider. Die Themen „Urlaube“ und „Reisen“ – damals eine zentrale Weiterbildungsmöglichkeit – hätten eine vergleichende Untersuchung verdient.
Anschaulich wird hingegen die Vielzahl der zeremoniellen Kompositions- und Musizieranlässe. Geburtstage, Vermählungen, Feste, Feiern, Messen, Einweihungen und Begräbnisse wurden musikalisch umrahmt; natürlich war das kompositorisch oftmals „für den Tag“ gemacht oder aus vorhandenen Werken kompiliert. Die Bindung der höfischen Musik an Unterhaltungs- und Repräsentationsbedürfnisse war eng. Ihr standen die Autonomieansprüche des musikalischen Kunstwerks gegenüber, die viele Amtsinhaber erheben – so auch Kunzen. Seine 1789 uraufgeführte Große Oper Holger Danske – Oberon nimmt tatsächlich Züge von Carl Maria von Webers Werk vorweg und widerlegt die bis zu Richard Wagner übliche, aber eben nicht durchweg zutreffende Abqualifizierung vieler Werke als „Kapellmeistermusik“. Aus einer Vielzahl von jeweils orts- oder personenspezifischen Details sticht das Amt in Wien heraus, das älteste belegbare musikalische Hofamt seit etwa 1500.
Der Hofkapellmeister war Institution des Hofs, gehörte also nicht zum Gefolge des Fürsten.
Hauptgewinn der Lektüre bleibt die Einsicht in den Spagat zwischen „Fürstendiener“ und „freiem Künstler“– und somit die Bestätigung von Telemanns schon 1740 geäußerter Einsicht in Bezug auf das vom Monarchen abhängige Hofamt mit hohem Anspruch und Prestige auf der einen Seite und die Dauerhaftigkeit eines städtischen Amts auf der anderen: „Wer Zeitlebens fest sitzen wolle, muss sich in einer Republik niederlassen.“
Wolf-Dieter Peter