Brandstätter, Ursula / Martin Losert / Christoph Richter / Andrea Welte (Hg.)

Darstellen und Mitteilen

Ein Handbuch der musikalischen Interpretation, mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: das Orchester 12/2010 , Seite 67

Anders als in der Literatur oder der Malerei wird in der Musik neben dem schöpferischen Urheber immer auch der kreative Ausführende gebraucht, um dem Kunstwerk – soll es nicht nur reine „Augenmusik“ für einige wenige Spezialisten bleiben – zu seiner vollen Wirkung zu verhelfen. Dem Interpreten kommt bisweilen sogar die Rolle zu, erst den letzten Schritt vom Kunst- zum Meisterwerk zu gestalten. Doch wie sieht eine angemessene, wie gar die ideale Interpretation eines Musikstücks aus? Welche Wege gibt es, eine Komposition zum Leben auf der Bühne, im Konzertsaal oder im Unterricht zu erwecken?
In einem Darstellen und Mitteilen überschriebenen Band zum 60. Geburtstag von Ulrich Mahlert, Professor für Musikpädagogik an der Universität der Künste Berlin, versuchen sich Freunde, Schüler, Kollegen und Wegbegleiter des Jubilars an Antworten auf diese Fragen – und berühren dabei in 20 Aufsätzen die unterschiedlichsten Musikgattungen, schaffen ungewöhnliche Perspektiven und versuchen sich mal an analytischen, dann wieder an ganz pragmatischen Ansätzen.
Sigi Busch zum Beispiel beleuchtet das Thema Jazz und Interpretation und geht der Frage nach, wo die Improvisation aufhört und die Interpretation beginnt – oder ob beides gar nur zwei Facetten ein und derselben Sache sind. Spannend ist dabei zu sehen, wie sich aus so genannten Jazz-Standards durch Improvisation bzw. das Ausfüllen der gegebenen Freiräume ganz unterschiedliche Interpretationen ergeben können. Gerhard Mantel dagegen versucht sich am Entwurf einer Interpretationsanweisung für die Eingangstakte von Haydns erstem Cellokonzert – ein Entwurf, der gerade ob seiner mikroskopischen Genauigkeit eine sehr spannende Sache geworden ist.
Andere Beiträge zeigen auf, wie ein und derselbe Notentext von unterschiedlichen Künstlern mit verschiedenen Ansätzen zu verschiedenen Zeiten in ganz gegensätzliche Interpretationen münden kann; oder wie sehr sich ein Musiker in die Noten eines Stücks neuer Musik hineinvertiefen muss, wie unvoreingenommen und mit wenig Ahnung vom Endergebnis er den Interpretationsprozess starten muss, um sich seine Sicht auf das Werk zu erarbeiten.
Klar wird in den 20 Kapiteln von Darstellen und Mitteilen, dass es mindestens so viele Interpretationsansätze wie Interpreten gibt. Ob spielerisch, analytisch, historisch, experimentell oder improvisatorisch: Interpretation lebt von der Konsequenz, mit der der eingeschlagene Weg gegangen wird, und von der Vielfalt der Methoden, die der einzelne Musiker und das Kollektiv zur Verfügung haben. Einen überzeugenden, tiefenscharfen Eindruck dieser Vielfalt hat die Gratulantenschar in diesem Band allemal versammelt.
Daniel Knödler