Maurice Ravel

Daphnis et Chloé

Ballett in drei Teilen für Chor und Orchester, hg. von Jean-François Monnard, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 65

„Dies ist mit Sicherheit nicht nur eines der besten Werke Ravels, sondern auch eines der schönsten Erzeugnisse der französischen Musik“– ein aussagekräftiges Urteil aus berufenem Munde und zwar von seinem geschätzten Kollegen Igor Strawinsky in dessen Lebenserinnerungen. Die Rede ist von Ravels Ballett Daphnis et Chloé nach der gleichnamigen, bukolischen Erzählung von Longos (lateinisiert Longus) aus dem
2. Jahrhundert. Es lohnt sich, diese märchenhafte Liebesgeschichte der beiden als Kinder von Ziegen und Schafen gesäugten Unzertrennlichen auch unabhängig vom Ballett zu lesen.
Ravel hatte sich anfangs mit der Komposition schwer getan, arbeitete „fast jede Nacht bis drei Uhr früh“. Mehrere Jahre dauerte der Prozess bis zur Vollendung, während Strawinsky bereits mit seinem Ballett Der Feuervogel und bald auch mit Petruschka Erfolge feierte. Letzeres war dann für Ravel die entscheidende Initialzündung, Daphnis et Chloé endlich zu vollenden. Zwei Monate nach Fertigstellung der sinfonisch gebauten und 1412 Takte starken Partitur kam es am 8. Juni 1912 schließlich zur Uraufführung.
Das sind kurz jene bekannten Äußerlichkeiten; die genauen Einzelheiten zum historischen Kontext und zu den ersten Aufführungen kann man im dreisprachigen Vorwort aus der Feder des Schweizer Dirigenten Jean-François Monnard nachlesen. Außerdem fasst er die frühe Rezeptionsgeschichte mit einigen Kritikerstimmen zusammen, geht auf Form in Bezug auf den Inhalt ein, erläutert hernach nicht nur Ravels harmonische Sprache mit Blick auf dessen Quint- und Quartkompositionstechnik sowie seine Liebe zu ausgefallenen Harmonien, sondern geht auch auf Merkmale der Instrumentation ein. Ein kurzer Überblick über die ersten Tonaufnahmen, der keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, beschließt das kenntnisreiche und spannend zu lesende Vorwort.
Die Partitur selbst wirkt trotz des üppigen Schlagwerks, der zahlreichen Bläser, der zwei Harfen, der teils großzügig in divisi notierten Streicher sowie des vierstimmigen Chors nie überladen, sondern stets übersichtlich und bestens lesbar. Hinzu kommen die üblichen Spielanweisungen und die einzelnen Regieanweisungen fürs Ballett, die sich im Anhang finden. Ab S. 254, Ziffer 83 bis 92, ist außerdem die alternative Instrumentation gedruckt für eine Aufführung ohne Chor, der an dieser Stelle teilweise a cappella komponiert ist. Dem schließt sich eine faksimilierte autografe Seite an – Beginn des dritten Teils, Ziffer 155 – und ein ausführlicher Revisionsbericht nebst Einzelanmerkungen. Zwei beeindruckende, originale Bühnenbilder von Léon Bakst runden die großartige Partitur sinnlich ab.
Werner Bodendorff