Franz Liszt

Dante/Tasso/ Künstlerfestzug

Staatskapelle Weimar, Ltg. Kirill Karabits

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Audite
erschienen in: das Orchester 05/2020 , Seite 72

Franz Liszts Künstlerfestzug zur Schillerfeier hört man selten, und das Werk ist eine echte Entdeckung. Das lyrische Thema (dolce espressivo) wird von Horn, Streichern und Harfe in bewegender Weise vorgestellt. Allmählich tritt das gesamte Orchester hinzu, was akustisch eindringlich gelingt. Die Staatskapelle Weimar musiziert unter Kirill Karabits wie aus einem Guss.
Zum 100. Geburtstag Goethes im Jahr 1849 hat Liszt die Tondichtung Tasso. Lamento e Trionfo geschrieben. Die Gestalt des Dichters, der in Ferrara liebte und litt, in Rom gerächt wurde und noch heute in den Volksgesängen Venedigs lebt, beschreibt Liszt zunächst mit einem Lamento als Bild für das schmerzvolle Ringen des Dichters. Dann lebt der Sieg auf, wie er sich im Triumph seiner weiterlebenden Kunst manifestierte. Gerade diesen Moment arbeitet Kirill Karabits einfühlsam mit der Staatskapelle Weimar heraus. Die Schilderung des prunkvollen Hoffestes in Ferrara fasziniert mit schillernden Klangfarben.
Noch packender gelingt den Interpreten allerdings die Wiedergabe von Liszts Divina Commedia-Symphonie. Die zwei Dante’schen Jenseitsreiche „Inferno“ und „Purgatorio“ münden hier in ein eindringliches Magnificat als Lobgesang der Geister an den Herrn. Das Magnificat nimmt die Stelle des dritten Reiches, „Paradiso“, ein. Liszt vertonte es, dem Rat Richard Wagners folgend, nicht. Die Staatskapelle Weimar durchmisst unter der energischen Leitung von Kirill Karabits alle kontrapunktischen Stadien mit Bravour. Drohend mahnen die Posaunen: „Per me si va ne la città dolente“ („Durch mich geht man ein in die Stadt der Schmerzen“). Dann bricht mit allen harmonischen Schrecken der Lärm der Hölle los. Obwohl das Orchester zuweilen eher distanziert klingt, kommen
die chromatischen Fieberschauer in aufwühlender Weise zum Ausdruck. Ächzen, Schreien und Stöhnen erscheinen nicht nur in den Streichern, die bei der Staatskapelle Weimar stark und überzeugend besetzt sind. In Harfen, Holzbläsern und Streichern erklingen Liebesweisen, die von der Staatskapelle leidenschaftlich musiziert werden. Der Dichter erblickt schaudernd Paolo und Francesca da Rimini, die wegen ihrer sündigen Liebe zu ewiger Qual verdammt werden. Der Klang- und Melodienzauber ist bei diesen Passagen bestrickend. Die Macht des unerbittlichen „Lasciate“-Themas arbeitet Karabits mit entfesselter Macht heraus. Sphärenhaft wirkt der „Berg der Läuterung“ im zweiten Teil. Zart verklärte Klänge behaupten sich. So entsteht ein Tonbild von höchstem Zauber für die lichte Ruhe dieser Stätte.
Und auch die fromme Melodie besitzt ungewöhnliche Intensität. Der zweite Abschnitt des „Purgatorio“ fesselt als Lamentoso-Fuge, deren schmerzlich klagende Zerrissen-
heit unter die Haut geht und in Demut ausklingt. Ausgesprochen milde interpretieren die Damen des Opernchors des Deutschen Nationaltheaters Weimar sowie der Knabenchor der Jenaer Philharmonie dieses „Magnificat“. So liegt mystische Weihe über dem marianischen Lobgesang, dessen grandioses „Halleluja“ dieses Meisterwerk prunkvoll ausklingen lässt.
Alexander Walther