Yoshiaki Onishi

Culs-de-sac (en passacaille)

für Streichquartett, Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Edition Gravis, Brühl
erschienen in: das Orchester 06/2019 , Seite 60

Bereits ein flüchtiger Blick in diese Studienpartitur offenbart, dass es sich bei Yoshiaki Onishis Culs-de-sac (en passacaille) um ein Stück handelt, dessen Umsetzung ein extrem versiertes, mit den erweiterten Spieltechniken zeitgenössischen Komponierens vertrautes Ensemble voraussetzt. Konkret handelt es sich um einen rund 15-minütigen Satz für Streichquartett, dessen Erstfassung 2009 vom renommierten New Yorker Jack Quartet uraufgeführt wurde, bevor sich die vier Musiker 2010 auch der hier vorliegenden revidierten Fassung annahmen.
Der 1981 geborene Onishi verfolgt einen ästhetischen Ansatz, dessen wichtigstes Kennzeichen die durchdachte Arbeit mit variablen Klangfarbenwerten, Geräuschtexturen und Rauigkeitsstufen ist – Elemente, die er im Rahmen einer übergeordneten formalen Dramaturgie miteinander verknüpft und in Wechselwirkung bringt, wodurch sich die Musik in permanenter klanglicher Bewegung befindet. In Culs-de-sac (en passacaille) geschieht dies auf Grundlage einer Harmonik, die sich auf unterschiedlich komplexe, teils unter Einbeziehung von Viertelton- und Dreivierteltonstufen entstandene Skordaturen der Streicher stützt.
Entsprechend dieser Ausgangslage enthält die Partitur für jedes einzelne Instrument neben einem System mit den gegriffenen Tonhöhen auch ein weiteres System, das über die resultierenden Klänge Auskunft gibt. Dass diese Angabe oft nur eine der Orientierung dienende Annäherung ist, verdeutlichen weitere durch spezielle Notationssymbole vorgeschriebene Aktionen der linken Hand, denen zufolge Onishi neben dem normalen Greifen beispielsweise auch das (nicht mit Flageoletttönen identische) Spiel mit reduziertem Fingerdruck oder das Abdämpfen der Saiten einfordert.
Jenseits dieser Angaben führt der Komponist unterhalb der Griffnotation für jedes Instrument ein drittes Notensystem ein, das Informationen über die bewegliche, von der linken Hand völlig unabhängige Handhabung des Bogenarms enthält. Hier sind, wiederum durch spezielle Notationssymbole vorgegeben und oftmals auch durch Rhythmen organisiert, das Spiel an unterschiedlichen Stellen von Saiten und Instrument, der jeweils auszuübende Bogendruck oder das Zupfen der Saiten mit einem Plektrum verzeichnet.
In ihrer Gesamtheit summieren sich all diese Vorgaben zu einem herausfordernden (gelegentlich durch zusätzliche Anweisungen in englischer und französischer Sprache unterstützten) Notationsbild, wie man es ganz ähnlich aus den Streichquartett-Partituren Helmut Lachenmanns kennt. Leider lassen sich anhand der relativ klein gedruckten Partitur keine Aussagen darüber machen, wie das Stimmenmaterial gestaltet ist und ob darin gegebenenfalls charakteristische Ereignisse – zum Beispiel der mobileähnliche Einsatz sich wiederholender Tonkonfigurationen – durch Stichnoten angedeutet werden.
Stefan Drees