Ute Grundmann
Cottbus: Mit Erfolg untertage
Uraufführung „Im Berg“ nach einem Romanfragment von Franz Fühmann am Staatstheater Cottbus
Der Dichter steigt im Anzug und mit Synthetikbeutel ins Bergwerk hinunter. Dort will er seine Lebens- und Seelenlandschaft erkunden. Doch er prallt auf die harte Arbeitsrealität „im Berg“ – vor allem in Gestalt des Untertage-Brigadiers Siegfried. Alltag und Traum, Staat und Individuum, Wunsch und Wirklichkeit wollte Franz Fühmann in einem großen Romanprojekt zusammenführen. Doch es blieb ein Fragment, das sein Tod mitten im Satz enden ließ, mit einem Komma. Am Staatstheater Cottbus hat es Schauspieldirektor Armin Petras gemeinsam mit den Musikern Sebastian Vogel und Thomas Kürstner fulminant auf die Bühne gebracht.
Auch das Publikum muss „in den Berg“. Denn die Bühne von Peta Schickart ist eine riesige, dunkle Halde, mit Stiegen rechts und links. Hier hat der Brigadier des Sagen – und Nils Stäfe singt, spielt und spricht sich unmittelbar ins Zentrum dieses ungewöhnlichen Musiktheaters. Er schnauzt den Dichter Franz (Robert Kuchenbuch, der dynamischer spielt und singt als im Roman vorgegeben) an, dass er hier nicht in einer Schokoladenfabrik sei, warnt ihn aber auch vor den Gefahren unter Tage. Die kommen auch als „Schrapper“ (ein Fördergerät) daher, Nico Delpy lässt kriechend lange Krallen und Alarmlampe auf dem Helm blitzen. Immer häufiger aber gerät der Dichter in Konflikt mit Staat und System, erst als „Genosse Dichter“ gefeiert, dann als nur vorgetäuschter Sozialist geschmäht.
Fühmann debattiert in seinem Buch ausführlich, ob die Arbeit eines Literaten mit der „wirklichen Arbeit“ überhaupt zu vergleichen sei. Das spielt in Armin Petras’ Libretto eher eine Nebenrolle, die gehört dem Bergbau, der gerade auch in der Lausitz viel angerichtet hat. Und so gibt es auch Flöz-Poesie zu hören, düstere Legenden (von einem Mädchen und einem Hütejungen in Trachtenkleidung erzählt), aber auch Fotos und nachgespielte Szenen aus dem DDR-Alltag. Das Bergwerk von Falun nach E. T. A. Hoffmann wird nur per Film und Sopranstimme erzählt, dabei gleiten Bläser und Bass-Zupfen immer tiefer unter die Melodiebögen.
Die Musik von Vogel und Kürstner machen nur zehn Musiker des Philharmonischen Orchesters (Streichquintett, Klarinette, Trompete, drei Schlagwerker) zu einem Ereignis. Unter der Leitung von Johannes Zurl drängen die Klänge Text und Handlung voran, setzen Trommel und Trompete wichtige Akzente. Aufgeregte Streicher werden dunkel grundiert, über Grollen steigen helle Bläsertöne auf. Aber es gibt auch eine gesprochene Tanzszene ganz ohne Musik, mit rhythmischem Sprech-Gesang und Schlag-Staccato. Und wenn ein kleiner Chor sich unter eine Wartburg-Motorhaube quetscht, mündet das in eine wilde Video-Gesangs- und Orchesterfahrt.
Doch hier wird kein Bergfest gefeiert, keinem Arbeiter-Mythos gehuldigt. Der Dichter wanzt sich mit Sätzen wie „Eure Arbeit ist meine Arbeit“ beim Volk ran; die Funktionäre dagegen rücken von ihm ab. Thorsten Coers als Gewerkschafts-Chef schafft es, schleimig und gehässig zugleich zu klingen – und nimmt dem Autor das Rednerpult weg, das ihn von den Werktätigen abhebt. Das ist zeitweise so trocken wie ein Parteiprogramm, doch die Musiker treiben auch das vor sich her, unterlegen es gar aufmüpfig. Der Dichter, so scheint es am Ende, richtet sich ein im Arbeiter- und Bauernstaat, träumt von „The last love auf my life“ zur Parteijournalistin Gabi (Charlotte Müller). Der Unter-Tage-Chef aber geht einen anderen Weg: Nils Stäfe besingt seinen Schacht und denkt dabei ans Himmelstor. Doch Berg und Staat haben ihn auch verletzt und so lässt er sich in den Graben und aus der Republik fallen. – Langer Jubel für einen wirklich ungewöhnlichen und beeindruckenden Musiktheaterabend.
Nach dem Riesenprojekt Im Berg geht es für das Philharmonische Orchester des Staatstheaters in „Klirrende Kälte“. So ist am 16. und 18. Dezember das vierte Philharmonische Konzert überschrieben, das Werke von Kaija Saariaho, Wolfgang Amadeus Mozart und Peter Tschaikowsky zusammenführt. Als Theaterorchester sind die Musiker im Januar gefragt, wenn Stephan Märkis Inszenierung von Tristan und Isolde Premiere hat, am Pult steht dann GMD Alexander Merzyn. Darauf folgen „Wilde Träume“: Nach Ligeti und Elgar erklingt Rued Langgaards Klippenpastorale, zu hören am 17. und 19. Februar 2023. Das Orchester nimmt auch wieder Klassiker „Unter die Lupe“, spielt zum Feierabend und steuert zum Zwiegespräch mit Literatur die Musik bei. Und noch ein sprechender Titel führt im Mai ins „Musikalische Bestiarium“: Bei Joseph Haydn gackert ein Huhn (La Poule), Mozarts Hornkonzert Nr. 2 mündet in der Jagd; die Suite aus Nikolai Rimski-Korsakows Oper Der goldene Hahn spricht für sich, Leoš Janáčeks Schlaues Füchslein ebenso. Am Pult des Philharmonischen Orchesters steht dann die Magdeburger GMD Anna Skryleva.