Sabine Zurmühl

Cosima Wagner

Ein widersprüchliches Leben

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau, Wien
erschienen in: das Orchester 5/2023 , Seite 64

Nichts Geringeres als die beeindruckende Summe eines publizistischen und feministischen Lebenswerks liegt hier zur Rezension vor: Sabine Zurmühl, geboren 1947, arbeitete nach Studium und Universitätstätigkeit in Berlin viele Jahre als Autorin, Filmemacherin und Moderatorin für die ARD über Themen wie Familienkonflikte, Frauenbewegung, Kultur- und Theatergeschichte.
Im Zentrum ihres neuen Buchs steht eine Persönlichkeit, deren Bild bis heute durch Klischees und Vorurteile geprägt ist. Diese wurden in den bisher vorliegenden Biografien auf unterschiedliche Weisen bedient: Das zweibändige Lebens- und Charakterbild von Richard Graf Du Moulin Eckart (1929/1931) besteht in erster Linie aus einer viele Fakten vertuschenden Heiligsprechung der Wagner-Witwe, während die vermeintlich wissenschaftlich fundierte Biografie des Erfolgsautors Oliver Hilmes (2007) Cosima als starrsinniges Selbstverwirklichungsmonster verfremdet.
Mit Machwerken dieser Art hat Sabine Zurmühls Untersuchung nichts gemein: Auf der Basis enormer Sach- und Quellenkenntnis und mit psychologischer Subtilität beleuchtet die Autorin Leben und Wirken ihrer Protagonistin in 33 Annäherungen. Geleitet von der Frage „Kann eine Frau ein selbstbestimmtes Leben führen, indem sie in der Unterstützung für einen Menschen lebt?“ wenden sich die Betrachtungen umfänglich jenen Männern zu, die Cosimas Biografie prägten: dem Vater Franz Liszt, ihrem ersten Ehemann Hans von Bülow und Richard Wagner. Daneben geht es um Cosimas Verständnis der Geschlechterrollen, um Liebe, Emanzipation, um Freundschaften mit Frauen und Männern, um den frühen Tod ihrer Geschwister, um Kindersorge, Selbstinszenierung, Gesundheit, Äußeres, um Bildung und sozialen Stand, nicht zuletzt um Chauvinismus und Antisemitismus.
Besonders anregend – und zugleich, wie alle Aspekte des Buchs, nicht als Diktum, sondern als Denkanregung zu verstehen – sind Sabine Zurmühls Ausblicke auf Wagner’sche Bühnenfiguren: Inwieweit hat sich Cosima mit Kundry identifiziert, jener Mischung aus Göttin und Dienerin, die die Enge der Frauenrolle sprengt? Einige Ring-Inszenierungen stellten Beziehungen her zwischen der mahnenden Wotan-Gattin Fricka und Cosima. Eine Verengung: Cosima lebte Ehebruch, Täuschung, Leidenschaft und nutzte dennoch „Fricka’sche Möglichkeiten“, um Ordnung in Wagners Leben zu bringen.
Fazit der Autorin: Cosima Wagner war keine Heerruferin der Frauenemanzipation und steht doch zugleich für „ein provokantes und auf ihre Weise selbstbestimmtes Leben jenseits vorgegebener Regeln und Normen“.
Ein grandioses Buch!

Gerhard Anders