Schwehr, Cornelius

Cornelius Schwehr

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Coviello COV 60717
erschienen in: das Orchester 02/2008 , Seite 64

Im Spannungsfeld zwischen Tonalität und serieller Totalität bewegt sich die Musik von Cornelius Schwehr. Punktuell geprägte Ereignisfelder präsentieren eine Fülle von Geräusch- und Klangfarben, dynamischen Nuancierungen, filigranen Dauernfolgen und markanten Tongestalten, die eine Aura avantgardistischer Grundhaltungen schaffen. Überraschend entfalten sich dabei mitunter auch nahezu kadenzartige Kräfte sowie auf geschlossene Formen weisende reprisenartige Vorgänge. Klar durchhörbare Netzstrukturen vermitteln musikalische Zusammenhänge, die im Gleichlauf verharren können oder sich fast unmerklich verändern, um Erwartungshaltungen und darauf folgende qualitative Umschwünge hervorzurufen. Geräuschhafte „Graustufen“ etwa wandeln sich so zu opulenter Farbigkeit, amorphe Rhythmen zu tanzartigen Gesten und von einer Allintervallreihe abgeleitete Tonhöhenkonstellationen zu plötzlich auftauchenden tonalen Relikten. Der schöpferische Umgang mit entfernt anklingenden tradierten Formmodellen wirkt dementsprechend nicht wie ehemals neuer Wein in alten Schläuchen, sondern wie ein treffender Ausdruck von ambivalentem Zeitgeist und einem künstlerisch weiten Horizont.
Die vorliegende Porträt-CD gibt charakteristische Aufschlüsse über das Instrumentalschaffen des Komponisten innerhalb der 1990er Jahre: Bedrückende Luftgeräusche und ideenreiche Klangversuche zur Überwindung der damit assoziierbaren Atemschwierigkeiten kennzeichnen das solistische Akkordeonstück aus den kamalattanischen liedern. Cornelius Schwehr deutet mit diesem Titel sowie mit stumm zu lesenden Textpassagen während des Spiels auf Christian Geisslers Roman kamalatta. romantisches fragment, der seinerseits auf den 1821 begonnenen griechischen Befreiungskampf Bezug nimmt. Im Trio Wie bei Bogen und Leier für Flöte, Oboe und Klarinette hingegen dient dem Komponisten ein Ausspruch von Heraklit als programmatisches Moment. Die Aktionen der Holzblasinstrumente sind hier oft so weit angenähert, dass sich fast monochrome Klangfarbenmelodien entwickeln, um musikalische Identitätsfragen auszulösen. Das Schlagzeugstück innen & außen arbeitet demgegenüber vor allem mit Kontrasten zwischen Klang und Geräusch sowie mit Veränderungen in Tempo und Rhythmusstruktur.
Wie ein Opus summum erscheint in diesem Kontext à nous deux für Viola, Piano und Orchester, in dem sich Schwehr auf unverwechselbar eigene Weise mit der Form des Doppelkonzerts auseinandersetzt. Feinste Details und umfangreiche dramaturgische Abschnitte sind zu einem faszinierend organischen Gesamtbild gefügt, das zugleich das großartige Engagement von Lothar Zagrosek und der mit ihm agierenden Interpreten erkennen lässt.
Christoph Sramek