Holliger, Heinz

Contrechant

sur le nom de Baudelaire für Klarinette in B/für Bassklarinette in B

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2008
erschienen in: das Orchester 01/2010 , Seite 71

Der Schweizer Komponist Heinz Holliger konnte in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag begehen. Er verkörpert den Typus eines Universalmusikers. Stand zu Beginn seines Musikerlebens seine vielfach preisgekrönte Solistenkarriere auf der Oboe im Zentrum, folgt etwas später das Komponieren als ebenso erfolgreicher Fixpunkt seines Lebens. Ergänzend treten die Tätigkeiten als Pädagoge an der Freiburger Musikhochschule und als Dirigent hinzu.
Holliger kennt sich als Oboist bestens mit den neuesten Artikulationsmöglichkeiten der Blasinstrumente aus, mit denen er selbst in Kompositionen der 1970er Jahre für Oboe experimentiert hat. In Contrechant, zusammen mit Rechant für Klarinette in B (2008) seine überhaupt ersten Solo-Kompositionen für Klarinette bzw. Bassklarinette, macht er sich die Ergebnisse der Erweiterung der Klangmöglichkeiten in all ihrer Vielfalt zu Nutze.
Als Komponist zeigt Holliger in vielen seiner Werke einen ganz engen Bezug zur Literatur, besonders zur Lyrik. Stellvertretend sei hier sein über mehrere Jahre hinweg entstandener Scardanelli-Zyklus mit Texten von Friedrich Hölderlin genannt. Weitere ihn zu Kompositionen anregende Autoren sind Samuel Beckett und Robert Walser. Die Inspirationsquelle für Contrechant liegt ebenfalls in der Beschäftigung mit Literatur. In diesem Fall hat Holliger die Form und das kompositorische Material aus einem Anagramm über den Namen Baudelaire, das der rumänisch-deutsche Dichter Oskar Pastior verfasst hat, entwickelt.
“Contrechant” ist in fünf Strophen zu je fünf Versen gegliedert. Der erste Vers exponiert mit zehn Tönen bzw. Klängen das Tonmaterial. Dieses entspricht der Buchstabenanzahl des Namens Baudelaire und bezieht die Tonfolge – soweit möglich – aus den entsprechenden (klingend notierten) Tonbuchstaben des Namens. In den folgenden Versen und Strophen wird analog zum Wortspiel ein lustvolles Klangspiel mit immer neuen Varianten in Gang gesetzt. Dabei überwiegen alle Arten von Mehrklängen, z.B. Kombinationen mit Klappenvibrato und gesungenen Tönen. Dies alles führt zu einem kaum zur Ruhe kommenden, filigranen Klangbild mit großem Kontrastreichtum. Im Epilog überlässt Holliger dann dem Interpreten das Spiel, indem er die Reihenfolge der letzten zehn Verse und die Wahl von ossia-Alternativen freistellt.
Die Fassung von “Contrechant” für Klarinette ist Philippe Albéra zum 30-jährigen Bestehen des Ensembles „Contrechamps“ im Jahr 2007 gewidmet, somit erweist sich der mehrdeutige Titel wohl auch als eine Art Wortklangspiel. Im Jahr darauf hat Holliger für Elmar Schmid die um einige Tonlagenveränderungen spieltechnisch angepasste Version für Bassklarinette erstellt.
Das technisch äußerst anspruchsvolle Werk mit einer Spieldauer von etwa elf Minuten bedarf eines mit allen Spieltechniken der zeitgenössischen Musik bestens vertrauten und erfahrenen Interpreten.
Heribert Haase