Werke von Gustavo Beytelmann, Luis Borda, Pablo Aguirre und anderen
Contacto Tango
Drei Jahre nach ihrer außergewöhnlichen Einspielung mit Solosonaten Mieczyslaw Weinbergs widmet sich die Bratschistin Julia Rebekka Adler unter tatkräftiger Mitwirkung des Pianisten José Gallardo einigen vom Tango nuevo beeinflussten Werken zeitgenössischer argentinischer Komponisten. Als besonders gewichtig erweisen sich die Cinco piezas para viola y piano (1997) von Gustavo Beytelmann: Adler und Gallardo wechseln hier zwischen instrumentalem Gesang, deklamatorischem Vortrag und rhythmisch vorantreibendem Duktus, ohne dabei die Verbindung zum Tango-Tonfall aus den Augen zu verlieren. Raffiniert ist Adlers Klanggestaltung, die, bestimmt von differenziertem Vibratoeinsatz, die Formung weicher und voller Klänge bis hin zum scharf profilierten sul-ponticello-Klang mit knackig artikuliertem Bogenansatz kombiniert. Gallardo wiederum spielt voller Zurückhaltung, verschwindet jedoch nie im Hintergrund, sondern bestimmt mit seinem klaren, stellenweise auch trockenen Anschlag die rhythmischen Feinheiten der Musik.
Auf diese Weise finden die Musiker auch in den übrigen Kompositionen zu überzeugendem Zusammenspiel: Luis Bordas El viento de verdad (1996/2012) formen sie zu einem rhapsodischen Dialog voller Feinheiten, in Pablo Aguirres Liberación (2010) verhüllen sie das Tangogerüst mit spielerisch umgesetzten virtuosen Momenten, und Miguel Varvellos Entrelazados (2007) setzen sie als emotional aufgeladene Klage voller Zwischentöne und agogischem Erfindungsreichtum um.
Den vier jüngeren Werken stehen, die zweite Hälfte der Produktion bildend, drei Kompositionen von Astor Piazzolla, dem Initiator des Tango nuevo, gegenüber: Klanglich abwechslungsreich formen die beiden Musiker die Dos piezas breves para viola y piano (1949) zu einem kontrastierenden Gegensatzpaar, während sie im bekannten Le Grand Tango (1962) trotz verschwenderischer Melodiegestaltung nicht so recht an die Wirkung der alternativen Violoncellobesetzung herankommen.
Zum Abschluss erklingen umfangreichster und zugleich problematischster Beitrag die ursprünglich für Flöte komponierten und gelegentlich auch von Geigern interpretierten Seis estudios tanguísticos (1987): Zwar kann die ohne Rückhalt des Klaviers agierende Bratschistin in vielen rhythmisch geprägten Passagen ihre solistischen Qualitäten unter Beweis stellen, doch widerstreben die stark an der Idiomatik des Blasinstruments orientierten Registerwechsel und Sprünge über weite Strecken hinweg einer wirklich überzeugenden Gestaltung. Besonders deutlich wird dies im langsamen Anxieux et rubato, wo die Viola in den höheren Registern gelegentlich aufgrund ihres Klangcharakters zu direkt wirkt. Ob es schließlich unbedingt nötig gewesen ist, die vorliegende Scheibe als Blu-ray zu produzieren, kann man anzweifeln, da der klangliche Mehrwert dieses Formats bei der Solo- und Duobesetzung eher marginal erscheint.
Stefan Drees