Felix Mendelssohn Bartholdy

Concertos for two Pianos

Alessandra Ammara & Roberto Prosseda (Klaviere), Residentie Orkest The Hague, Ltg. Jan Willem de Vriend

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Decca
erschienen in: das Orchester 06/2020 , Seite 68

In der allgemeinen Wahrnehmung wird das Konzertschaffen Felix Mendelssohn Bartholdys von seinem Violinkonzert und ersten Klavierkonzert dominiert; schon das zweite Klavierkonzert ist wesentlich seltener zu hören. Die reichhaltige Reihe an Instrumentalkonzerten jedoch, die Mendelssohn in sehr jungen Jahren geschrieben hat, wird dabei zumeist geflissentlich übersehen: Nur selten werden diese in Neueinspielungen oder in Konzerten berücksichtigt; gelegentlich trifft man allenfalls das Doppelkonzert für Violine und Klavier und Orchester an. Somit kommt der Neueinspielung der beiden frühen Konzerte für zwei Klaviere und Orchester ein hoher Repertoirewert auf dem CDMarkt zu. Diese Konzerte hat Mendelssohn 1823 bzw. 1824, also mit 14 und 15 Jahren, jeweils als Geburtstagsgabe für seine Schwester Fanny komponiert. Die Soloparts waren für ihn und Fanny gedacht, die wie ihr Bruder über enorme pianistische Fertigkeiten verfügte, wie anhand der dialogischen oder virtuosen, oftmals im konzertanten Wettstreit miteinander angelegten Anforderungen der Klavierstimmen deutlich wird. Das frühere der beiden Konzerte in E-Dur schätzte Mendelssohn so hoch ein, dass er es noch Jahre später in London mit Ignaz Moscheles spielte. Das zweite, mit einer Dauer von einer knappen Dreiviertelstunde wesentlich umfangreichere Konzert weist gegenüber dem früheren unüberhörbare Fortschritte in der Orchesterbehandlung auf und gemahnt bisweilen an die Klangwelt Beethovens. Beide Konzerte bieten bereits eine Vielzahl an Stilmerkmalen, die für Mendelssohn typisch werden sollten – sei es eine besondere Aura in Harmonik und Orchesterfarben in den langsamen Sätzen oder die schwerelose Leichtigkeit der sprühenden Virtuosität in den Finalsätzen. Alessandra Ammara und Roberto Prosseda stürzen sich, bestens unterstützt vom Residentie Orkest The Hague unter Willem de Vriend, mit Lust und Spielfreude in die wahrlich nicht einfachen spieltechnischen Anforderungen. Ihre Darstellung atmet jugendliche Frische und Unbefangenheit, die diesen frühen Konzerten Mendelssohns gerecht werden. Sie spielen auf Instrumenten, die Chris Maene auf Anregung Daniel Barenboims nach historischem Vorbild, aber in moderner Bautechnik mit parallel gespannten Saiten (statt der üblichen Kreuzbespannung) konstruierte.
Die Herangehensweise des Orchesters lässt sich im besten Sinne als „historisch informiert“ charakterisieren. Dabei nähert sich das Klangbild in den Tuttiabschnitten mit sparsamem Vibrato, deutlich hervortretenden Bläsern, markanter Pauke und vor allem lebendiger Artikulation stilistisch so sehr dem der Originalklang-Ensembles an, dass der zwar stets schlanke und transparente, dennoch „moderne“ Flügelklang dagegen schon anachronistisch
wirkt. Dennoch: ein hörenswertes und überzeugendes Plädoyer für den frühen Mendelssohn!
Christian Ubber