Werke von Vivaldi, Marcello, Telemann und Bach
Concertos for oboe & oboe d’amore
Kalev Kuljus (Oboe), Lithunian Chamber Orchestra, Ltg. Kalev Kuljus
Barock und Oboe galten schon immer als untrennbar miteinander verwoben: musikalisch und ästhetisch. Die Oboe soll der menschlichen Stimme am nächsten kommen – ein im Booklet gern gelesener Hinweis, der von Musiktheoretikern des 18. und 19. Jahrhunderts übrigens auch anderen Blasinstrumenten wie der Flöte und der Klarinette zugeschrieben wurde, um die Besonderheit des jeweiligen Instruments hervorzuheben. Doch insbesondere im klarinettenarmen Barock gab es kaum einen namhaften Komponisten – mit Ausnahme von Bach –, der nicht für dieses Doppelrohrblattinstrument ein Konzert, nicht wenigstens eine Sonate oder eine kleine Suite geschrieben hätte. Auch der Hinweis, ein Flötenkonzert nach Bedarf mit Oboe besetzen zu können, zeigt deren Wichtigkeit.
Kalev Kuljus, seit 2003 Erster Solo-Oboist des NDR Elbphilharmonie Orchesters und 2017 Schirmherr des „Instrument des Jahres“, der Oboe, suchte sich für seine CD, auf der er als Solist das Litauische Kammerorchester selbst leitete, vier populäre Komponisten des Barock aus und begann frisch mit dem bekannten Concerto C-Dur RV 447 von Antonio Vivaldi. Weder Kuljus’ goldwarmer und süchtig machender Ton seiner Oboe noch seine exzellente Finger- und Ansatztechnik muss hier eigens hervorgehoben werden: Alles klingt mühelos und überzeugt.
Das Ansprechende und Bemerkenswerte bei der vorliegenden Aufnahme sind die barockimmanenten Interpretationen unter Beachtung der personalstilistischen Eigenheiten der jeweiligen Komponisten sowie die Herzschlagtempi. Nicht überzogene Hetze oder olympiareife Schnelligkeit um ihrer selbst willen, sondern barocke Gelassenheit zeichnet die Aufnahme aus, an der der Hörer seine Freude haben wird. Wo Virtuosität gefragt ist wie im finalen Variationenteil bei Vivaldi, kommt sie vollendet aus der Oboe gepurzelt; der langsame Satz lädt hingegen zum Zurücklehnen ein. Beides vereinen die Akteure auch im berühmten Concerto d-Moll von Alessandro Marcello mit dem populären Adagio.
Farbwechsel beim viersätzigen G-Dur-Konzert für Oboe d’amore, Streicher und Basso continuo TWV 51:G3. Die etwas tiefer gestimmte d’Amore mit dem Liebesfuß kommt mit einem sehr sinnlichen Timbre daher. Nicht von ungefähr bezeichnete Telemann den Eingangssatz mit „Soave“, also „lieblich“, vollmundig und süffig wie beim gleichnamigen italienischen Wein.
Das Concerto für Oboe d’amore in A-Dur BWV 1055R von Johann Sebastian Bach beschießt die beim Label Alba Records erschienene CD. Bach machte bekanntlich, wie Julius Heile im Beiheft richtig anmerkt, „aus unerfindlichen Gründen einen großen Bogen“ um Oboenkonzerte. Aber ganz sicher ist das nicht. So könnte das Konzert Nr. 4 A-Dur für Cembalo mit hoher Wahrscheinlichkeit die Bearbeitung eines verschollenen Konzerts für Oboe d’amore sein. Es fehlen zwar die Originalstimmen, doch aus der Rekonstruktion ist ein ansprechendes Konzert geworden.
Werner Bodendorff