Ulvi Cemal Erkin

Concerto for violin and orchestra

Klavierauszug von Claus-Dieter Ludwig

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Schott
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 64

Dank der editorischen Bemühungen des Schott-Verlages sind im Laufe der vergangenen Jahre etliche Kammermusikwerke des türkischen Komponisten Ulvi Cemal Erkin
(1906-1972) in vorbildlichen Ausgaben erschienen. Mit dem 1946/47 komponierten und 1948 von Licco Amar in Ankara uraufgeführten Violinkonzert wird nun eine spieltechnisch wie klanglich äußerst attraktive Komposition verfügbar gemacht, der es – gerade im Hinblick auf eine dringend benötigte Frischzellenkur für unseren meist auf dieselben Stücke fixierten Konzertbetrieb – zu wünschen wäre, größere Verbreitung zu finden.
Ganz unverkennbar kündet die Musik von jenen ästhetischen Wurzeln, die Erkin – Schüler u. a. von Nadia Boulanger – sich während seines Studiums in Paris angeeignet hat. Gleichfalls wird deutlich, dass er ungeachtet dieser prägenden Einflüsse und des erweiterten tonalen Idioms einen sehr eigenständigen musikalischen Weg gegangen ist.
Der „Allegro giusto“-Kopfsatz des dreisätzigen, gut 30-minütigen Konzerts wartet mit einer weit ausgreifenden, teils in Doppelgriffen formulierten Kantilene auf, die aufgrund des vorgezeichneten 5/4-Takts und metrischen Wechseln zu geraden Taktarten einen elastisch-schwebenden Charakter erhält. Dabei ist der Gesang der Solovioline – was der hervorragend gemachte Klavierauszug von Claus-Dieter Ludwig naturgemäß leider nicht vermitteln kann – als fester Bestandteil in ein fein instrumentiertes, permanent changierendes Farbenspiel der Orchesterinstrumente eingebunden. Immer wieder von Passagenwerk oder Trillerkaskaden unterbrochen mündet der Solopart schließlich – ähnlich wie in Mendelssohns Violinkonzert – in eine ausgedehnte Kadenz, die mit violin-begleitetem Orchester zum Reprisenteil des Satzes zurückfindet.
In den kompakten Rahmenabschnitten des „Adagio“-Mittelsatzes stimmt die Violine das schlichte Thema jeweils über einem regelmäßig, fast streng dahinschreitenden Viertelbass an, wogegen im lockerer gefügten Mittelteil die Kantilene in raffinierte Ornamente und Figurationen aufgelöst wird. Das energetische „Allegro con fuoco“ wiederum wartet mit einigen rhythmischen Vertracktheiten auf und verweist zudem mit rondoartig wiederkehrenden tänzerischen Elementen sowie mit melodischen Verästelungen in den ruhigeren Abschnitten auf prägende Einflüsse aus der Volksmusik.
Trotz der in die unmittelbare Nachkriegszeit fallenden Entstehung des Violinkonzerts bewegen sich die spieltechnischen Aufgabenstellungen im Rahmen dessen, was man von der spätromantischen Musik her gewohnt ist, allerdings bereichert um ein gehäuftes Auftreten von Doppelgriffkombinationen mit Quinten, Quarten und Sekunden. Darüber hinaus dürften die für weite Strecken der raschen Sätze prägenden metrischen und rhythmischen Irregularitäten eine Herausforderung für viele Interpreten und Interpretinnen sein. Dies sollte aber niemanden davon abhalten, sich näher mit dieser rundum lohnenswerten Komposition zu befassen.
Stefan Drees