Nico Muhly / Sven Helbig / Zhou Long und Dmitri Shostakovich

Concerto for Cello and Orchestra „Three Continents“ und Concerto for Cello and Orchestra No. 2 op. 126

Jan Vogler (Violoncello), WDR Sinfonieorchester, Ltg. Cristian Măcelaru / Mariinsky Orchestra, Ltg. Valery Gergiev

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical
erschienen in: das Orchester 12/2020 , Seite 71

Das Gemeinschaftswerk Three Continents von Komponisten aus den Vereinigten Staaten, Deutschland und China zeigt in der Vielfalt erstaunliche Einheitlichkeit. Nur der erste Satz ist um 90 Sekunden kürzer, der Mittel- und Finalsatz haben eine Länge von elf Minuten. Der Cellist Jan Vogler wollte die ihm wesentlichen kulturellen Anregungen in musikalischen Ausdruck verwandeln und hatte deshalb die Idee, nicht nur einen, sondern drei Komponisten mit einem Solokonzert für die von ihm geleiteten Dresdner Musikfestspiele zu beauftragen.
Das Resultat ist Globalisierung durch Töne und Rhythmen, falls man den liedhaften und gegen Ende von martialischen Moll-Akkorden durchfurchten
kantablen Satz nicht als versponnen europäisch, die gestoßenen Harmonien und das Stil-Universum des Kopfsatzes nicht als Broadway-Rhythmen oder die kammermusikalischen und pentatonischen Wirkungen des Finalsatzes nicht als musikalische Reflexe auf Bambusrohre im Wind dechiffrieren möchte.
Der US-Amerikaner Nico Muhly (*1981), der Deutsche Sven Helbig (*1968) und der Chinese Zhou Long (*1953), der mit dem Thema „der betrunkenen, berühmten Poeten“ hier als einziger ein musikalisches Programm aufstellt, sind Musikmagnaten eines Global Village, in deren Tonsprachen und Spannungsarchitekturen kaum Anhaltspunkte über ethnische Herkunft oder soziokulturelle Prägung hörbar sind. Zum einen ist diese Offenheit auch darin begründet, dass die Komponisten keinerlei Vorgaben zur Verklammerung bzw. Kohärenz der drei Sätze erhielten. Die melodienartige Cellolinie Helbigs wirkt wie eine Fortsetzung der kantablen Tradition langsamer Sätze. Zhou Long nimmt die „betrunkenen Dichter“ als Startbahn zu schneidiger Klangdemonstration, in denen das Solocello stellenweise zum Begleitinstrument wird und seine Führungsposition aufgibt.
Unter der Leitung Cristian Măcelarus kostete das WDR Sinfonieorchester das extrovertierte Gestikulieren dieser Eine-Welt-Musik in großer Besetzung hörbar aus. Minimalistisches, die prahlerische Pose Hollywoods, wie improvisiert wirkende Tonfolgen und bunte Tutti- Kaskaden gewährleisten eine Frischegarantie wie genoptimierte Agrarprodukte.
Die Mitwirkung Jan Voglers als Spiritus Rector legitimiert die zweite Einspielung auf dieser CD, in der Valery Gergiev mit dem Mariinsky-Orchester Schostakowitsch zum Tschaikowsky-Epigonen macht und dabei noble Fassadenfarben aufträgt. Im Grunde ist damit fast alles gesagt: Die demonstrierte Leistungsfähigkeit des WDR Sinfonieorchesters repräsentiert den hohen Standard heutiger Spielfertigkeit, die dichte Streichergruppe des Mariinsky- Orchesters und die von Gergiev verschlankte dunkle Grundierung bauen auf international bejubelten Regionalkompetenzen auf. Die beiden grundverschiedenen Qualitätsdemonstrationen wirken in dieser Kombination wie Gesinnungserklärungen vom Nord- und Südpol.
Roland Dippel