Elgar, Edward / Elliott Carter / Max Bruch
Concerto for cello and orchestra in E minor op. 85 / Cello Concerto / Kol Nidrei op. 47
Jacqueline du Pré sei die Heldin ihrer Kindheit gewesen, nachdem sie diese mit Elgars Concerto gehört hatte, so bekennt die amerikanische Cellistin Alisa Weilerstein. Als Weilerstein mit zwölf Jahren begann, das Cello ernsthaft zu studieren, musste sie sich erst aus du Prés Bann lösen. Schon als Dreizehnjährige trat sie1995 mit dem Cleveland Orchestra auf, dem ihr Vater Gründer des Cleveland Quartet als Konzertmeister angehörte.
Den entscheidenden Karriere-Kick verdankt Weilerstein Daniel Barenboim, der sie 2009 in sein Studio in der Carnegie Hall bat, damit sie ihm das Elgar-Konzert vorspielt. Woraufhin der Maestro am Klavier sogleich anfing, den elegischen Kopfsatz mit ihr durchzuarbeiten immer den tönenden Organismus, den fließenden Zusammenhang, den thematischen Beziehungszauber der Musik im Sinn. Am Ende lud er sie nach Berlin ein.
Was die gemeinsamen Proben mit der Staatskapelle erbrachten, ist nun nach drei Aufführungsterminen in der Berliner Philharmonie quasi live auf CD nachzuhören: ein sublimes Hörerlebnis, zugleich erhebend und bewegend, in den Adagio-Momenten nachgerade zum Niederknien. Als dächten Solistin, Dirigent und Orchestermusiker in stiller Liebe an die tragisch früh verstorbene Jacqueline du Pré (die ja Barenboims Frau war). Womit sie zugleich den englischen Komponisten adeln, der mit diesem Werk unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg seinen Schaffensgipfel erreichte: fesselnd von den verhangenen nobilmente-Akkorden des Beginns bis zum Falstaffian last movement (Diana McVeagh).
Ist schon Elgars Konzert dazu angetan, die Saiten- und Bogenkünste des Solisten zu strapazieren, so reizte es den greisen, doch mitnichten vergreisten Elliott Carter 2001, das neue Jahrtausend mit einer Folge höchst origineller Charakterstücke zu begrüßen, deren hitzige Doppel- und Tripelgriffe, Spiccati, Sautillés oder Ricochets die virtuose Höhenluft stellenweise dünn werden lassen. Da Alisa Weilerstein das Glück hatte, dessen Cello Concerto noch mit dem 104-jährigen Maestro selbst durchzugehen, lag nichts näher, als beide Konzerte für ihr CD-Porträt zu koppeln. Die Solistin nennt Carters Stück ein äußerst kompaktes Werk mit vielen verschieden Eigenarten. Und weiter: An der Oberfläche mag es intellektuell erscheinen, doch wenn man dahinter schaut, ist es äußerst dramatisch, rhythmisch komplex mit vielen Tempowechseln.
Das Orchester hält sich meist im Hintergrund, um das Charakterspektrum des Soloinstruments möglichst konturklar, geistreich und gewitzt herauszukehren mal schwärmerisch, mal gauklerisch, mal kantig, mal verhuscht. Bedenkt man, dass Carter damals 93 Jahre alt war, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Geradezu verwunschen der vorletzte Tranquillo-Teil: ein seliger Cellogesang über den Wassern, aus denen seltsam submarine Klänge von Kontrabass und Klarinette herauftönen, während ab und zu eine Perle in die Idylle tropft trügerische Ruhe vor der Turbulenz des finalen Allegro fantastico, das mit einer Pizzikato-Kaskade der Solistin abbricht. Ein würdiger Nachruf der Solistin, der Staatskapelle Berlin und ihres GMD auf den im Dezember 2012 verstorbenen Komponisten.
Lutz Lesle