Concerto
Nur eine Annäherung an den originalen Notentext des Soloparts können die über 25 bereits vorhandenen Notenausgaben inklusive der Urtext-Ausgaben von Mozarts Klarinettenkonzert KV 622 sein: Bis heute ist der Verbleib des Manuskripts des berühmtesten und meistgespielten Klarinettenkonzerts nicht geklärt.
Spannend ist deshalb die Frage, wie der Solopart für die Klarinette von Anton Stadler mit der Erweiterung des Tonumfangs um eine Terz tiefer bis zum notierten c, die heute als Bassettklarinette bezeichnet wird, ausgesehen hat. Hierzu haben verschiedene Klarinettisten, mit als erster der Engländer Alan Hacker (1938-2012), Überlegungen angestellt und diese in eigenen Notenausgaben verzeichnet. Vorzugsweise wurden Arpeggiofiguren in die Tiefe erweitert und Oktavierungen vorgenommen im Vergleich zum gängigen Notentext, der selbst eine, aber eben nur eine Möglichkeit darstellte, das Konzert ohne die Erweiterung nach unten auf der normalen Klarinette zu spielen.
Hier setzt die vorliegende neue Version von Sabine Meyer und Reiner Wehle für die normale A-Klarinette an. Die Herausgeber haben darüber nachgedacht, dass das überlieferte Notenmaterial die Druckfassung von 1801 nur eine Bearbeitung des verschollenen Manuskripts ist und diese deshalb hinterfragt. Ziel der neuen Version ist es, möglichst viele Stellen für die A-Klarinette klanglich an die Bassettfassung anzunähern. Während das thematische Material hiervon weitgehend unberührt bleibt, wurden Akkordbrechungen umgestaltet. Viele Veränderungen zur ersten Druckfassung sind einleuchtend und lassen sich problemlos umsetzen. Nur an wenigen Stellen sind sie so bedeutsam wie der Lagenwechsel im ersten Satz, wenn in Takt 145 ff. die verminderten Akkorde nicht mehr bis zur dreigestrichenen Oktavlage hinaufgeführt werden.
Die neue Version bietet in der Solostimme den Notentext für die A-Klarinette und in kleinerem Druck weitere Alternativen für diese sowie ebenfalls in kleineren Zeilen die davon abweichende, im Violinschlüssel notierte Bassettklarinetten-Fassung. Diese weicht an einigen Stellen auch vom Urtext der Neuen Mozart-Ausgabe ab, der in der Bärenreiter-Ausgabe (mit wechselnden Schlüsseln) wiedergegeben wird.
Die Herausgeber haben ihre editorischen Entscheidungen in den Anmerkungen erläutert und Artikulations- und Dynamikvorschläge in der Solostimme ergänzt. Christian Ruvolo hat einen prima-vista-freundlichen, schlanken Klavierauszug des Konzerts erstellt, das in seiner Schönheit alle Diskussionen um den authentischsten Notentext zur Nebensache werden lässt.
Heribert Haase