Concerto

Rubrik: Noten
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Zu den Komponisten, die nach dem Zweiten Weltkrieg einen modernen Stil jenseits der experimentellen Avantgarde kreierten, gehört Alexander Goehr (*1932). Der Sohn des Dirigenten Walter Goehr, der mit seiner Familie 1933 aus Berlin nach England emigrierte, erhielt seine Grundausbildung am Royal Manchester College of Music, wo er mit Kollegen wie Harrison Birtwistle oder Peter Maxwell Davies die „New Music Manchester Group“ gründete. Entscheidende Impulse empfing er freilich in den 1950er Jahren von Olivier Messiaen in Paris. Als Kompositionsprofessor ist Goehr in Großbritannien und den USA mittlerweile eine Koryphäe.
Anlässlich seines 80. Geburtstags 2012 lobte der seine Werke herausgebende Schott-Verlag seine „substanziellen Beiträge zum Repertoire für Orchester und Kammerensembles“. Dazu gehört etwa das Orchesterstück When Adam Fell, das im Januar 2012 vom BBC Symphony Orchestra und dem Nash Ensemble vom Widmungsträger Oliver Knussen aus der Taufe gehoben wurde. Die BBC Proms feierten den runden Geburtstag außerdem mit zwei Konzerten, bei denen u.a. die Bach-Hommage …a musical offering (J.S.B. 1985)… erklang. Auch Goehrs 2010 am Royal Opera House London uraufgeführte König-Lear-Oper Promised End gilt als markantes Werk der zeitgenössischen Musik.
Sein bei Schott nun in der Reihe „Musik unserer Zeit“ wieder aufgelegtes Violinkonzert op. 13 entstand bereits Anfang der fruchtbaren 1960er Jahre im Auftrag des britisch-armenischen Geiger Manoug Parikian (1920-1987). Dieser führte es am 2. Juli 1962 auf dem Cheltenham Festival erstmals auf; das London Symphony Orchestra spielte unter dem ungarischen Dirigenten Antal Doráti. Parikian hat das Konzert außerdem für EMI eingespielt, zuletzt erschienen 2004 innerhalb der Reihe „British Composers“.
Das 25-minütige Werk ist mit zwei Flöten (mit Piccolo), zwei Oboen (mit Englischhorn), zwei Klarinetten (mit Bassklarinette), zwei Fagotten, Kontrafagott, vier Hörnern, zwei Trompeten, zwei Posaunen (Tenor und Bass) sowie Pauken, Perkussion (drei Spieler) und Streichern relativ groß besetzt. Das Konzert besteht aus zwei Sätzen, wovon der zweite mit 387 Takten Umfang samt Solo-Kadenz am Schluss der deutlich gewichtigere ist. Goehr gelingt es, Tradition und Innovation intelligent zu vereinen. Er spielt mit der Expression, der Lyrik und (explodierenden) Dramatik berühmter romantischer Violinkonzerte, bleibt in seiner Tonsprache jedoch atonal, ohne je einen allzu kopflastigen Serialismus zu bemühen.
Der Violinpart wird wirkungsvoll in und vor das Orchester gestellt, anspruchsvoll sind Grifftechnik, Spielarten und Rhythmik. Solist und Orchester werden permanent gefordert, da Goehr Wert auf eine lebendige Interaktion legt. Außerhalb der Spezialveranstaltungen für Neue Musik findet solch ein hochkarätiges Werk bis heute leider kaum Platz in traditionellen Konzertreihen. Vielleicht weckt diese Studienpartitur neues Interesse.
Matthias Corvin