Concerto

Rubrik: Noten
erschienen in:

Durch alle Jahrhunderte hindurch haben sich zwei Aspekte der Musik immer wieder gegenseitig befruchtet. Die Weiterentwicklung technischer und damit klanglicher Möglichkeiten der Instrumente lockte die Komponisten, diese erweiterten Gegebenheiten in neuen Werken zu nutzen. Man denke hier z.B. an das „Wohltemperierte Klavier“ von Bach. Die Instrumentenbauer und Instrumentalisten mussten andererseits nicht selten versuchen, durch Neukonstruktionen bzw. durch neue Spielarten und Techniken den erweiterten und erhöhten Anforderungen der Komponisten Rechnung zu tragen. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist dafür das Kontrabass-Konzert von Hans Werner Henze aus dem Jahr 1966, das vom Schwierigkeitsgrad her als nahezu unspielbar galt. Selbst der Widmungsträger Gary Karr, der das Werk 1967 in Chicago zur Uraufführung brachte, hat (mit der Erlaubnis des Komponisten) einige Passagen so verändert, dass sie für ihn machbar waren. Auch der italienische Bassist Franco Petracchi schrieb sich eine, ebenfalls von Henze sanktionierte, eigene Fassung. In seinen autobiografischen Mitteilungen Reiselieder mit böhmischen Quinten stellte Henze staunend fest: „Heute spielen viele junge Bassisten die Druckfassung ohne mit der Wimper zu zucken, woran man wieder einmal sehen kann, dass es immer noch und immer wieder möglich ist, technische Fortschritte zu machen, und dass die Technik allgemein an den ihr gestellten Aufgaben wächst.“
Das zwanzigminütige Concerto ist quasi in Kammerorchesterstärke besetzt, hat aber Instrumente dabei, die man sonst nur im großen Orchester findet. Darunter sind eine Piccoloflöte, Englischhorn, Bassklarinette, Kontrafagott, Harfe und Pauken. Hier geht es um Farbe und Transparenz und um die Notwendigkeit, das Soloinstrument nicht zu überdecken.
Henze macht im Solopart heftigen Gebrauch von der Beweglichkeit und von dem Tonumfang des Kontrabasses. Im Wechsel mit dem Orchester und in den Kadenzen werden die Möglichkeiten des Doppelgriffspiels, die reichlich vorhandenen Flageolett-Töne und die Pizzikato-Effekte genutzt. Dazu aber gibt es viel Kantabilität und sonoren Klang. Das Werk ist atonal, die Taktmetren wechseln schnell und unaufhörlich. Die Rhythmus- und Perkussionseffekte sind exakt getaktet und stehen im Gespräch zu den eingewobenen, lyrischen Themenbögen.
Insgesamt ist es ein eher leises Stück von sensibler Komplexität und ästhetischen Klangfeldern. Es gibt drei Sätze: zu Beginn ein Moderato cantabile in dem sich der Bass als kantables Instrument vorstellt. Dann ein Vivace in A-B-A-Form mit starken Varianten in allen Reprisen vorstellt. Der letzte Satz ist eine Art Ciacona, die das vom Solobass vorgetragene Thema 32-mal variiert.
Henze sei noch einmal selbst zitiert aus dem oben genannten Buch: „Im Herbst Sechsundsechzig komponierte ich ein Concerto für Gary Karr, den amerikanischen Kontrabassisten, ich versuchte dabei, nur an Musik zu denken, nicht an Personen, nicht an Sex. Reine und absolute Musik sollte es sein, tönend bewegte Form.“ Das ist ihm gelungen und die Zahl der Aufführungen zeigt, dass das Werk durchaus im Bewusstsein des Musikbetriebs lebt, zumal es immer mehr Solisten auf dem Instrument gibt. Die in c notierte Studienpartitur ist für die Vorbereitung auf das Konzert eine große Hilfe.
Wolfgang Teubner