Pēteris Vasks

Concerto

für Viola und Streichorchester, Klavierauszug von Claus-Dieter Ludwig

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott
erschienen in: das Orchester 05/2021 , Seite 78

Musik aus den kleinen nordischen Staaten, die sich 1991 aus der Sowjetunion herauslösen konnten, zeichnet oft eine Abkehr von der Komplexität der Neuen Musik ab. Die „neue Einfachheit“ des estnischen Komponisten Arvo Pärt war lange umstritten. Bei Pēteris Vasks aus Lettland blickte man auf dessen „scheinbare Einfachheit“ und Nähe zur Folklore bisweilen herab. Doch die Musik dieser Komponisten wird vom Publikum geliebt, weshalb sie zu den meist aufgeführten unserer Zeit zählt.

Violasolisten können sich über einen Mangel an Konzerten im Bereich der modernen Musik nicht beklagen. Doch das Concerto von Vasks einzustudieren, lohnt sich auf jeden Fall. Dass es für Streichorchester geschrieben wurde, vergrößert seine Aufführungschancen, sei es im Hochschulbereich oder auch im Konzertbetrieb. Vasks widmete sein Concerto dem Bratschenvirtuosen Maxim Rysanov, der es auf CD eingespielt hat.

Für Bratsche ist Vasks’ Musik gut geeignet. Sie ist elegisch, oft von Melancholie geprägt, wirkt nach innen gerichtet und hat eine gewisse Herbheit. Diese Musik ist auf eine ganz eigene Weise tonal: Zwar ist eine Tonalität fast immer spürbar, aber die Zentren ändern sich. Es gibt ebenso archaisch wirkende Oktav- und Quintklänge wie Cluster. Die Rhythmik hält sich nicht an ein Metrum, vielmehr ändern sich die Betonungsabstände häufig, wie die zahlreichen Taktwechsel anzeigen. Dies gilt sowohl für die schnellen, tanzartigen Abschnitte als auch für die langsamen gesanglichen Melodien.

Vasks ist einer der wenigen zeitgenössischen Komponisten, die „schöne“, gesangliche Melodien schreiben können, ohne dass sie abgenutzte Formeln des 19. Jahrhunderts oder der Unterhaltungsmusik verwenden. Diese Melodien haben eine enorme Weite und einen langen Atem. Gewiss ist der Violasolist durch Läufe und zahlreiche Doppelgriffe gefordert. Doch die eigentliche Schwierigkeit ist, diese sehr spezifische melodische und rhythmische Gestaltung, die nie einen sicheren Boden kennt, umzusetzen.

Das Concerto hat eine ungewöhnliche Satzfolge: Es beginnt mit einem Andante; ein tänzerisches Allegro folgt, das in die 1. Kadenz mündet. Nach diesem schnellen Satz setzt attaca wieder ein Andante ein, auf dessen Höhepunkt die 2. Kadenz erklingt. Auch der nächste Satz schließt attaca an und beendet das Concerto mit einem hellen, weiten Adagio. Für den Solisten sind die beiden Kadenzen eine besondere Herausforderung: Sie sind gleichsam zwei „Solosonaten-Sätze“ für die Viola, stellen höchste technische Anforderungen und verlangen eine vertiefte und überlegte Gestaltung.

Die Ausgabe für Viola und Klavier des Schott-Verlags ist übersichtlich gedruckt und bestens für die musikalische Praxis eingerichtet. Der von Claus-Dieter Ludwig betreute Klavierauszug überträgt stimmig den Orchesterklang auf das Tasteninstrument, sodass auch ein Vortrag „nur“ mit Klavier einen tiefen Eindruck hinterlässt.

Franzpeter Messmer