Concertino

Rubrik: Noten
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Bohuslav Martinu ist nach wie vor ein Unentdeckter, wobei Neugierigen das Entdecken aus mehrerlei Gründen erschwert wird: Das Œuvre des 1890 geborenen Slowaken ist fast unüberschaubar umfangreich, vieles blieb ungedruckt und selbst die publizierten Werke erschienen über die Welt verstreut in zahlreichen Verlagen. Dankenswerterweise hat der Schott-Verlag in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Werke Martinus neu aufgelegt und hierbei häufig ältere Ausgaben einer kritischen Revision unterzogen. Der vorliegende Klavierauszug des 1924 entstandenen Concertino macht ein Werk wieder zugänglich, das zuletzt 1967 im Prager Verlag Panton erschienen ist.
Die für einen Komponisten des 20. Jahrhunderts – und zumal einen Komponisten von internationalem Format – ungewöhnliche Situation derartiger Quellenunsicherheit ist letztlich auf Martinus weitgehendes Desinteresse an Aufführung und Rezeption seiner Musik zurückzuführen. Offensichtlich erschöpfte sich sein Ehrgeiz allein in der Produktion immer neuer Werke. Er schrieb schnell und revidierte kaum. So entstand ein vielfältiges, stilistisch jedoch erstaunlich konsistentes Werk, das in tschechischer Volkslied- und Tanzmelodik wurzelt, für Anleihen und Einflüsse – beispielsweise aus der Musik Debussys, aus Jazz und Ragtime, aus barockem Concerto grosso und alter Vokalpolyfonie – indes stets offen war.
Mit dem Concertino beginnt eine Reihe von Werken im Schaffen Martinus, die dem Soloinstrument Cello gewidmet sind: Sie umfasst außerdem zwei Konzerte, eine Sonata da Camera, drei Sonaten sowie weitere Werke mit Klavier, von denen die Rossini-Variationen und die Variationen über ein slowakisches Volkslied besondere Bekanntheit erlangt haben.
Das Concertino entstand zu Beginn von Martinus Pariser Lebensphase und ist dem Cellisten und Hindemith-Quartettkollegen Maurits Frank gewidmet. In vielerlei Hinsicht trägt es den Stempel der experimentierfreudigen 20er Jahre: Seine durchkomponierte, in diverse Einzelabschnitte zerfallende Form gemahnt weniger an Konzeptionen à la Schumann oder Liszt, sondern weist eher rhapsodisch-improvisatorischen Charakter auf.
Signifikant auch die Besetzung: vier Holzbläser, drei Blechbläser, Pauke, Schlagzeug und Klavier. Die Kombination eines solistischen Streichinstruments mit bläserdominiertem Kammerorchester war en vogue, man denke an vergleichbare Werke von Hindemith, Strawinsky, Berg oder Weill. Andererseits ist Martinus Bemühen um Eindämmung formalen oder thematischen Wildwuchses spürbar: Einzelne, zumal rhythmisch prägnante Motive generieren eine Art übergeordnete Variationsfolge, die das frei konzipierte Gebilde umklammert und zusammenhält.
Fast überflüssig der Hinweis, dass es dem Werk zu keinem Zeitpunkt an Energie und Vitalität mangelt, und da der Solopart viel von jener packenden Virtuosität – inklusive spektakulärer Solokadenz – enthält, die Martinus Cellokompositionen insgesamt auszeichnet, möchte man dem originellen Concertino größere Verbreitung wünschen.
Gerhard Anders