Martinu, Bohuslsav

Concertino/Concerto/Partita – Suite No. 1

Storioni Trio, Georgisches Kammerorchester Ingolstadt, Ltg. Ruben Gazarian

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Ars Produktion ARS 38 191
erschienen in: das Orchester 06/2016 , Seite 72

Was ist nur dran am Concerto grosso? Dieses wörtlich „große Konzert“ ist eine Kompositionsform aus dem 17. Jahrhundert, lebt aber fort bis in die Gegenwart. Ihre Struktur ist schnell beschrieben. Ein volles Orchester steht einer Gruppe von konzertierenden Soloinstrumenten gegenüber und daraus entstehen Dialoge und Monologe. Neben dem Concerto grosso hat sich in der abendländischen Musik die Sinfonie entwickelt. Sie ist die Königsgattung der orchestralen Instrumentalmusik. Dennoch hat sie das Concerto grosso nicht wirklich überboten oder obsolet gemacht. Also: Was ist dran an ihm? Denn es geht ja offenbar um mehr als die Renaissance einer historischen Kompositionsweise in der Gegenwart. Der tschechische Komponist Bohuslav Martinu, der sich selbst als „Concerto-grosso-Typ“ charakaterisierte, hat versucht, das zu erklären.
Das Concerto grosso hat eine ganz eigene Konzeption, und die unterscheidet sich von der der Sinfonie. Die hat im Laufe der Zeit immer mehr Kraft in die Entfaltung der Themen gelegt: mit Emotion, mit Ausdruck und mit Dramatik. All diese Elemente überwucherten schließlich die grundlegende Ordnung der Komposition und machten sie fast wirkungslos. Das Wesen des Concerto grosso hingegen liegt in der Beschränkung. Alles verlangt nach Balance: Klangvolumen, Dynamik und thematische Anordnung. Der Komponist muss weglassen können, um zu entfalten, was das „disegno“, also die geistige Anlage des Concerto grosso vorsieht. Es handelt sich um eine Form, die den Kreativen diszipliniert. Was er sagen will, muss er prägnant formulieren.
Diese Herausforderung hat Martinu gereizt, und zwei Werke seines Concerto-grosso-Stils aus den 1930er Jahren sind auf der vorliegenden CD beispielhaft eingespielt: das Concerto und das Concertino für Klaviertrio und Orchester im barocken Zuschnitt, also als reines Streicherensemble. Beide sind 1933 entstanden. Kurz zuvor, 1931, hatte Martinu sich schon einmal eine barocke Form anverwandelt: die Partita oder Suite Nr. 1, also eine Folge von stilisierten Tanzsätzen. Er hat daraus ein virtuoses, folkloristisch inspiriertes Stück gemacht, dessen gezupfte und gestrichene Passagen ein lebhaft wogendes Klangnetz knüpfen.
Und das hört man in dieser Aufnahme sehr gut. Das ehemalige Exilorchester Georgiens ist jetzt in Bayern zuhause und wird seit einem Jahr von Ruben Gazarian geleitet – offenkundig mit großem Erfolg. Denn diese rhythmisch und dynamisch überwiegend kleinteilig aufgebaute Musik kann nur mitreißen, wenn die Musiker perfekt aufeinander abgestimmt sind. Das sind sie im Orchester und ebenso im Storioni-Klaviertrio, das die Tripelliteratur von der Wiener Klassik bis in die Gegenwart im Repertoire hat. Nach Musikauswahl und Interpretation ist diese Neuerscheinung unbedingt zu empfehlen.
Kirsten Lindenau