Antonio Vivaldi

Concerti per violino VIII „Il teatro“

Le Concert de la Loge, Julien Chauvin (Violine und Ltg.)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Na¨ıve OP 30585
erschienen in: das Orchester 09/2020 , Seite 89

Vivaldis Musik ist zumeist als Instrumentalkonzert ein Hit. Die „Vier Jahreszeiten“ evozieren Hagelsturm und Gewitter, Eiseskälte und staubtrockene Hitze mit Violinartistik und Streichereffekten.
Viele Solokonzerte schildern Naturereignisse, aber seelische Situationen in Musik auszudrücken gilt gemeinhin nicht als Stärke des Venezianers. Erst mit der Widerentdeckung seiner Opern hat sich diese Haltung relativiert. Doch auch hier schwingt bei Kennern oft ein Naserümpfen mit: der Händel, ja! Der hätte für die menschliche Stimme schreiben können, wie seine Opern beweisen! Aber Vivaldi? Der habe doch immer nur Violinmelodien geschrieben – und sei es für eine Sopranstimme.
Das Vorurteil ist alt. Fast so alt wie über den Kollegen Bach, dem man auch nachsagte, er habe im Grunde immer Instrumentalmusik komponiert, auch für Chöre oder Gesangssolisten. Eine CD mit Violinkonzerten Vivaldis zeigt nun, dass auch andersherum ein Schuh draus werden kann. Denn hier wurden von Julian Chauvin und dem Ensemble „Le Concert de la Loge“ Werke eingespielt, die sich auf Vivaldis Opern beziehen: Immerhin hatte der Prete Rosso, wie er auch genannt wurde, einen Großteil seines Lebens mit dem Schreiben von Bühnenwerken verbracht – und warum das hierfür geschöpfte Material nicht auch für die eigene Solistenkarriere nutzen? Freilich: Nicht alles klingt nach zierlichem Gesang. So ist etwa das Konzert in d-Moll RV 235 ein mit Doppelgriffen gespicktes, brillantes Virtuosenstück, dessen Adagio auf jedem Instrument – auch der menschlichen Stimme – berückend wirkt. Im h-Moll-Konzert RV387 ist dagegen eine berühmte Arie aus Vedrò, con mio diletti (1724 [sehens- und hörenswert: der polnische Sopranist Jakub Józef Orliński, begleitet am Klavier von Alphonse Cemin, 2017 beim Festival in Aixen- Provence, siehe: www.youtube. com/watch?v=yF4YXv6ZIuE; Anm. der Redaktion] konkret verarbeitet, was man auch dem verzierungsreichen Spiel des Geigensolisten anmerkt, der die fehlenden Worte durch betont differenziertes Spiel und vielschichtige Ausdrucksnuancen ausgleicht.
Mit großer Geste eröffnet auch das Konzert RV 366 B-Dur, das glänzend als Ouvertüre funktionieren würde und dessen feurige Ecksätze ein höchst kantables Grave adagio umrahmen. Diese Musik hätte jede Theateraufführung geschmückt: Geschrieben wurde sie für Carbonelli, der ein Theaterorchester in London leitete, bevor er sich als Weinhändler betätigte zur Ruhe setzte! „Le Concert de la Loge“ und Julien Chauvin (Violine und Leitung) sind bestens gerüstet, diese Kleinodien auch auf großer Bühne zu präsentieren. Die inzwischen legendäre und vielfach gerühmte Vivaldi-CD-Reihe von Naïve findet hier mit historischer Sachkenntnis und virtuoser Spielfreude eine absolut würdige Fortsetzung.

Matthias Roth