Bettina Zimmermann

con tutta forza Bernd Alois Zimmermann

Ein persönliches Portrait. Dokumente, Briefe, Fotos, Zeitzeugen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wolke, Hofheim 2018
erschienen in: das Orchester 09/2018 , Seite 70

Bernd Alois Zimmermann bezeichnete sich einmal als „der älteste unter den jungen Komponisten“. Diese ironische Paradoxie beschreibt recht gut das Dilemma der Künstler, deren künstlerische Entwicklung durch die Machtverhältnisse zwischen 1933 und 1945 erheblich gestört wurden, die aber auch dadurch ein sensibles Gespür für gesellschaftliche Probleme entwickelten. So schrieb er, dass ihm Einheitlichkeit und Einseitigkeit verhasst seien. Damit passe er natürlich in keine „Schule“. Aber Gruppenarbeit, Gruppengeist habe er in seinem Leben lange genug ertragen müssen.
Natürlich haben die Umstände seines Lebens bis hin zu seinem Freitod im Jahr 1970 vor dem Hintergrund des Versuchs, seine Musik als „Zeit-Zeugnis-Kunst“ zu etablieren, zu einer Mythenbildung beigetragen, in deren Folge durch die Beliebigkeit der Standpunkte für das Verständnis des Schaffens dieses Komponisten wenig gewonnen wurde. Hierzu gehört auch seine offenherzige Selbsteinschätzung als „eine sehr rheinische Mischung von Mönch und Dionysos“, wie auch das unselige Verdikt von Michael Gielen, dass „sein Leben und sein Werk auf das Requiem und den Tod hin zusammenschießen“.
Man weiß noch immer wenig über die Person. Diese Lücke hat Tochter Bettina Zimmermann geschlossen und ein überaus kenntnisreiches Porträt ihres Vaters erstellt, das sie im Vorwort bescheiden als „Fundus für eine zukünftige Biografie“ umreißt. Der Titel con tutta forza verweist nicht nur auf eine von ihrem Vater oft verwendetet Spielanweisung, sondern trifft auch ein wesentliches Merkmal seines Charakters.
Bettina Zimmermann ist in der Tat ein „persönliches Portrait“ – so der Buchuntertitel – gelungen, das weder zur „Heldenbeschreibung“ tendiert, noch zur Larmoyanz neigt. Das gelingt in dieser Konsequenz nur selten! Alle wichtigen Wegbegleiter ihres Vaters – Michael Gielen und Hans Zender seien stellvertretend genannt – kommen zu Wort. Ein gewaltiger Fundus ist dies, der nicht nur eine Fülle bisher unveröffentlichter Dokumente, Gespräche mit Zeitgenossen, Fotos, Brief- und Notenautografen beinhaltet, sondern auch spannend wie ein Krimi zu lesen ist.
Das detailreiche Porträt zeigt auch den ambitionierten Fotografen und Zeichner Zimmermann, und auch den Familienmenschen. Man erfährt viel über die damaligen nationalsozialistischen, reaktionären und antimodernen Einstellungen nicht nur im Kulturleben. Natürlich nimmt die Oper Die Soldaten samt Zimmermanns Theorie des „Pluralismus“ und seiner Zeitphilosophie, die oberflächlich betrachtet Ähnlichkeiten mit der zur gleichen Zeit von Karlheinz Stockhausen entwickelten aufweist, breiten Raum im Buch ein.
Eine exzellente Biografie, die darüber hinaus auch wichtige historische Entwicklungslinien des 20. Jahrhunderts aufzeigt und eine bedeutsame Primärquelle zur weiteren Erforschung liefert. Werkkommentare und Register komplettieren diesen sorgfältig edierten Band, der einen wichtigen Beitrag zur Forschung darstellt.
Michael Pitz-Grewenig

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