Werke von Widmann, Strauss und Beethoven

Con brio

Diego Chenna (Fagott), Jörg Widmann (Klarinette und Leitung), Irish Chamber Orchestra

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Alpha Classics
erschienen in: das Orchester 04/2022 , Seite 75

Con brio ist der Titel einer Konzertouvertüre, die der 1973 geborene Jörg Widmann 2008 für das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in seiner Heimatstadt München schuf. Dessen damaliger Chefdirigent Mariss Jansons hatte ihn gebeten, ein komplementäres Stück, sozusagen einen Gastbeitrag zu einem Programm zu schreiben, das ansonsten die Symphonien Nr. 7 A-Dur op. 92 und Nr. 8 F-Dur op. 93 von Ludwig van Beethoven enthielt. Daraufhin ließ Widmann sich seine inzwischen meistaufgeführte Partitur einfallen, die Beethoven kaum direkt zitiert, wohl aber den „Beethoven’schen Ton“, den heroischen Gestus, den festlichen Furor aufblitzen lässt.
Widmann lässt sich in Con brio von den Attacken, den harten Brüchen, den Takt- und Tempowechseln in Beethovens Siebter befeuern, um in eine ganz eigene Klangwelt zu gelangen. Als Insiderscherz reagierte Widmann auf das Paradebeispiel einer „Finalsymphonie“ mit einer Ouvertüre, die ständig Schluss macht und sich ständig selbst widerspricht, in Luft auflöst. In gleicher Besetzung wie in Beethovens Siebter werden die akademisch geschulten Ausführenden zu Aktionen aufgefordert, die ähnlich „verrückt“ wirken, wie die Symphonie Beethovens seinen Zeitgenossen erschien: Die Musiker müssen Knacklaute, Schmatzgeräusche und Flüsterparolen erzeugen, auf Mundstück oder Schalltrichter schlagen oder auf die Pauke hauen (dabei weniger auf das Paukenfell) und manchmal mitten in der Bewegung erstarren.
Neben Widmanns verrückter Konzertouvertüre enthält diese neue CD jenes entspannt-gelassene Duett-Concertino für Klarinette und Fagott mit Streichorchester (Soli und Tutti) und Harfe, das Richard Strauss 1947 (also vor inzwischen 75 Jahren) als sein letztes reines Orchesterwerk komponierte – mit „Rosenkavalier-Reminiszenzen, Ariadne-Allusionen und Daphne-Derivaten“ (so Wolfgang Stähr im Beiheft) – und schließlich natürlich Beethovens Siebte selbst, deren letzer Satz überschrieben ist mit „Allegro con brio“.
Jörg Widmann ist hier nicht nur als Komponist, sondern auch in seinen beiden anderen Hauptberufen zu erleben, nämlich als Klarinettist und als Dirigent, konkret als Chefdirigent des Irish Chamber Orchestra. Sein eigenes Stück wirkt schlanker, dafür weniger witzig als in dem „kanonischen“ Mitschnitt der Uraufführung unter Leitung von Mariss Jansons. Das Duett-Concertino erfährt immerhin eine sehr sorgfältige Lesart, wobei das Fortissimo etwas schwach bleibt.
Beethovens Siebte schließlich wäre vorbildlich in ihrer kammermusikalischen Genauigkeit und auch mitreißenden Lebensfreude – würde das aufführungspraktisch korrekte Bild nicht immer wieder getrübt durch überflüssige Manierismen, insbesondere die allzu naive Gleichung „lauter = schneller“.
Entstanden sind also durchaus interessante, aber allenfalls solide Einspielungen mehr oder weniger bekannter Werke.
Ingo Hoddick