Nikolai Medtner
Complete Works for Violin and Piano
Nikita Boriso-Glebsky (Violine), Ekaterina Derzhavina (Klavier)
Dank einer ganzen Reihe guter Aufnahmen hat sich während der zurückliegenden Jahre das Bewusstsein für die Qualität der Kompositionen Nikolai Medtners in positivem Sinn entwickelt. Die vorliegende Produktion eröffnet nun – nach den Einspielungen von Alexander Labko und Evgeny Svetlanov (1993) oder Laurence Kayaleh und Paul Stewart (2007/08) – eine ausgezeichnete Möglichkeit, Medtners originellen Umgang mit den Gesetzmäßigkeiten der Sonatenform an den drei anspruchsvollen Sonaten für Violine und Klavier zu beobachten.
Der interpretatorische Zugang von Nikita Boriso-Glebsky und Ekaterina Derzhavina erweist sich hierbei als wahre „Ohrenweide“: Bereits die 1909/10 entstandene, dreisätzige h-Moll-Sonate op. 21 zeugt von einem sensiblen und klangfarbenreichen Zugang, dessen Detailreichtum auf die Möglichkeiten der Feingestaltung ausgerichtet ist. Nicht nur der feinfühlige, melodisches Geschehen und Begleitkonfigurationen wohl balancierende Dialog beider Partner, sondern auch die sichere Intonation des Geigers in den harmonisch so heiklen b-Moll- und H-Dur-Passagen von Mittelsatz und Finale nehmen von Anfang an für diese Aufnahme ein.
Faszinierend ist aber auch die Annäherung an die weitaus monumentaler angelegten Sonaten G-Dur op. 44 (1922-1925) und e-Moll op. 57 (1935-1938): Mit seinem Pendeln zwischen ausgewogenem Maestoso-Charakter und „quasi cadenza“-Passagen zeugt der Beginn von op. 44 von ausgefeiltem Agogik-Spiel, das in den kadenzartigen Einleitungen der übrigen beiden Sätze erneut aufgegriffen wird und auch an anderen Stellen – so in den schön geformten Cantabile-Passagen des Kopfsatzes oder im Variationssatz – immer wieder die Musik bestimmt.
Noch facettenreicher führen die Musiker in die e-Moll-Sonate ein: Die Introduzione erweist sich als fein gezeichneter Ruhepunkt, dessen fahler Beginn zunächst zu vielfach abgestuften Vibratonuancen hin geöffnet wird, bevor er in das pointiert angestimmte Allegro-Thema mündet. Dass dieses von Medtner als „Sonata epica“ bezeichnete Werk trotz seiner Dimensionen nie erdrückend wirkt, hängt mit dem überragenden Vermögen des Duos zusammen, die Höhepunkte der einzelnen Sätze nicht durch aufgesetztes Pathos zu unterstreichen, sondern – das zurückhaltende Espressivo in den Andante-Kantilenen des dritten Satzes ist das beste Beispiel hierfür – durch Einsatz feiner Temponuancen und überlegter Binnengestaltung.
Die außergewöhnlich schlüssige Einspielung der Sonaten wird zudem durch die Wiedergabe der kleiner dimensionierten zyklischen Werke – der Drei Nachtgesänge op. 16 (1907/08) und der Canzonen und Tänze op. 43 (1925) – aufgewertet. Auch hier überzeugen Boriso-Glebsky und Derzhavina durch maximale Differenzierung der klanglichen Seite bei gleichzeitigem Abwechslungsreichtum im Ausdruck, was insbesondere den beiden Kontrastpaaren von Canzonen und Tänzen zugute kommt.
Stefan Drees