Ludwig van Beethoven

Complete Works for Piano and Cello

Nancy Green (Violoncello), Frederick Moyer (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: JRI Recordings
erschienen in: das Orchester 05/2020 , Seite 75

König Friedrich Wilhelm II. belohnte ihn mit einer Schnupftabaksdose, gefüllt mit Golddukaten – ein Geschenk, das eines Gesandten würdig gewesen wäre, wie der junge Künstler stolz vermerkt. Ludwig van Beethovens Aufenthalt am preußischen Hof 1796 und dessen wichtigstes kompositorisches Resultat, die beiden Cellosonaten op. 5, werfen ein Schlaglicht auf die Schaffensbedingungen, denen selbst dieser innovative Komponist zeitlebens unterworfen war: Ohne Widmung an eine erlauchte Adresse ging (fast) nichts. Nun waren sowohl der Preußenkönig als auch Baron Ignaz von Gleichenstein und Gräfin Marie von Erdödy – Widmungsträger der Cellosonaten op. 69 und op. 102 – allesamt ambitionierte Musiker, die offenbar in diesen nach-revolutionären Jahren große Sympathien hegten für den ungebärdigen Feuerkopf aus Bonn und sich für seine Extravaganzen begeisterten.
Nicht anders als in den frühen Klaviersonaten und Streichquartetten zeigt sich Beethoven in den Sonaten op. 5 von seiner progressiven Seite. Hier konstituiert sich im Grunde erst die Gattung Cellosonate als Duo zweier gleichberechtigter Partner. Überraschendes geschieht auch in den weiteren Sonaten. Zeichnet sich op. 69 durch ein hohes Maß an Kantabilität und zugleich dichte motivisch-thematische Arbeit aus, so betreten wir mit den Sonaten op. 102 ein „Experimentalstudio“, das bereits auf die späten Quartette hindeutet. Die quasi-
improvisatorischen Passagen in op. 102,1 und die verquere Schlussfuge aus op. 102,2 haben in der Kammermusikliteratur kaum ihresgleichen.
Pünktlich zum Beethoven-Jahr präsentiert ein hierzulande weniger bekanntes US-amerikanisches Duo eine Gesamtaufnahme der Sonaten, ergänzt durch die drei frühen Variationenzyklen, in denen Beethoven der Mozart’schen Zauberflöte und Händels Judas Maccabäus huldigt. Nancy Green hat in den USA, England und Deutschland studiert und widmete sich einer erfolgreichen Solistenkarriere, die sie 2015 formell beendete, um nur noch im Aufnahmestudio tätig zu sein. Auch Frederick Moyer ist vielgereister Solist, mit besonderer Affinität zu Jazz und zeitgenössischer Musik.
Das Duo überzeugt durch exzellent ausgehörtes Zusammenspiel, hohe Klangaffinität und lebendige Phrasierung. In den langsamen Sätzen vernehmen wir teilweise sehr gedehnte Tempi, doch auch hier herrscht stimmige, intensive Kommunikation zwischen den Duopartnern.
Ein kleiner Wermutstropfen: Nancy Greens cellistischer Duktus mutet insgesamt ein wenig altbacken an. Ihre Neigung zu Glissandi, zu einer bisweilen rustikalen Tongebung auf den tiefen Saiten und zu gelegentlichen Hervorhebungen „eigentlich“ unbetonter Töne irritiert. Neben Frederick Moyers durchweg feinem, schlackenfreien Klavierspiel nimmt sich diese Attitüde nicht vorteilhaft aus. Dies trübt die Freude indes nur marginal, denn allemal sind hier zwei profunde Musiker am Werk, die diese außergewöhnliche Musik hörbar aus tiefer Überzeugung heraus interpretieren. <
Gerhard Anders