Maderna, Bruno

Complete Works for Orchestra

Vol. 5

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Neos 10937
erschienen in: das Orchester 03/2014 , Seite 81

Die beiden hier eingespielten Konzerte von Bruno Maderna (1920-1973) führen in eine Epoche zurück, von der Carl Dahlhaus als einer ihrer besten Kommentatoren später bekannte, in ihr habe die Aleatorik, also der in vielfältigen kompositorischen Formen gestaltete Zufall, das musikalische Denken geradezu „verhext“. Es erwies sich, dass die Aleatorik, mit der die rigide serielle Strukturierung und Ausarbeitung der Musik „aufgebrochen“ und die Musiker zu Mitgestaltern „emanzipiert“ werden sollten, als solche unhörbar blieb. Immerhin gerieten die Werke mit ihren in gewissen Grenzen offenen Formen durch die Freiheiten, die den Interpreten eingeräumt wurden, leichter aufführbar. Aber einen Eingang in das Repertoire fanden diese Werke gleichwohl nicht. Im Grunde ist die Aleatorik als Kompositionstechnik bekannter geblieben als die jeweiligen Werke.
Umso dankbarer muss man für die hier vorgelegten hervorragenden Einspielungen sein, die es ermöglichen, sich mit den Werken aus einem historischen Abstand von bald einem halben Jahrhundert jenseits der einst dominierenden kompositionstechnischen Spekulationen auseinanderzusetzen. Und das gelingt umso anregender, als beide Solisten – Thomas Zehetmair als kaum zu übertreffender Solist im Violinkonzert (1969) und Markus Bellheim als ein vor keiner „Zumutung“ zurückschreckender Pianist im Klavierkonzert (1959) – die Werke gestisch-ausdrucksvoll verlebendigen. Und dabei werden sie bestens vom hr-Sinfonieorchester unter Arturo Tamayo unterstützt, ja geradezu getragen.
Zehetmair interpretiert nicht bloß unglaublich differenziert, sondern spielt geradezu „sprechend“: Er flüstert, tuschelt, klagt, singt, verschweigt, gesteht ein, bestätigt oder referiert. Und zudem gibt er der Musik, die keine erkennbare Entwicklungsrichtung einschlägt, durch seine spielerische Präsenz eine durchaus zwingende Kontinuität. Bellheim wiederum mildert die Zufälligkeit des jeweils erklingenden Schallereignisses durch die klangliche Substanz, die er den – selbstverständlich auch präparierten – Klaviertönen gibt. Und natürlich muss er auch, wohl nach dem Vorbild von John Cage, das Klavier an allen möglichen Stellen ab- und beklopfen – womöglich nach serieller „Vorplanung“.
Besonders eindringlich und alles andere als „zufällig“ wirken freilich die elegisch-meditativen Schlussteile beider Konzerte in diesen Aufnahmen: Sie verstummen oder versinken in das Schweigen; und doch scheinen sie weiter zu klingen, ohne dass wir sie noch hören können. Mit solchen Einspielungen sollte es vielleicht gelingen, der seriellen und postseriellen Musik wieder etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen, ohne gleich an die Möglichkeit einer Wiederbelebung ihrer musikalischen Denkformen zu glauben.
Giselher Schubert