Weinberg, Mieczyslaw
Complete Violin Sonatas
Volume Two
Von einer veritablen Renaissance des polnischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg (1919-1996) zu sprechen, ist keine Übertreibung. Seine Entdeckung findet momentan vor allem auf Tonträger statt, aber auch in Konzertprogrammen taucht der Name Weinberg vermehrt auf. Die Qualität des einst mit Schostakowitsch eng befreundeten Komponisten spricht für sich. Gleich auf mehreren Labels sind in letzter Zeit hervorragende Einspielungen erschienen: Bei cpo liegt eine verdienstvolle Gesamtaufnahme sämtlicher Streichquartette mit dem Quatuor Danel vor, Chandos treibt eine Gesamteinspielung der 26 Sinfonien voran. Das Duo Linus Roth und José Gallardo hat vergangenes Jahr bei Challenge Records eine Gesamtaufnahme der Werke für Violine und Klavier vorgelegt, vor Kurzem folgte eine Aufnahme des 1959 für den Geiger Leonid Kogan geschriebenen Violinkonzerts op. 67 in einer hoch interessanten Kopplung mit dem Violinkonzert von Benjamin Britten (s. Seite 72). Gidon Kremer und die Kremerata Baltica haben sich gerade bei ECM für Weinberg stark gemacht, und bei RecArt spielten Ewelina Nowicka und Milena Antoniewicz Werke für Violine und Klavier ein (s. Seite 76).
Einen weiteren bedeutenden Beitrag zur Weinberg-Diskografie leisten derzeit der aus Moskau stammende Geiger Yuri Kalnits und der englische Pianist Michael Csányi-Wills, die für das in London beheimatete Label Toccata Classics an der ersten Gesamtaufnahme der Violinsonaten arbeiten (inklusive der Solosonaten). Die erste Folge erschien 2010 (Toccata Classcis CD TOCC 0007), nun liegt die zweite vor. Die CD macht zunächst mit der folkloristischen und leicht zugänglichen Rhapsodie über Moldawische Themen op. 47 bekannt. Eigentlich handelt es sich hier um ein Orchesterwerk, das Weinberg dann für Violine und Klavier bearbeitete und das mit Fingersätzen von David Oistrach veröffentlicht wurde. Weinberg und Oistrach führten das Stück 1953 zusammen im Moskauer Konservatorium auf.
Die noch in den Kriegsjahren entstandene Violinsonate Nr. 2 trägt dann schon deutlicher Weinbergs Handschrift. Sie ist Oistrach gewidmet, der das Werk 1962 uraufführte. Die suitenartig konzipierte Sonate für Violine solo Nr. 2 entstand 1967, Weinberg schrieb sie für den russischen Violinvirtuosen Mikhail Fikhtengolts. Die Violinsonate Nr. 5 von 1953 widmete Weinberg seinem Mentor und Freund Schostakowitsch, über den er einmal sagte: Ich bin ein Schüler von Schostakowitsch. Auch wenn ich nie Unterricht bei ihm genommen habe, so sehe ich mich doch als sein Schüler, mit Haut und Haar.
Damit leistete Weinberg, sicher unbewusst, wohl auch dem Vorurteil Vorschub, seine Werke seien lediglich eine Art Abglanz der Musik von Schostakowitsch. Die Aufnahme der Violinwerke widerlegt diese Auffassung auf gutem interpretatorischen Niveau gründlich. Sie dürfte und sollte auch für andere Geiger Anreiz sein, sich mit den Violinkompositionen Weinbergs näher zu beschäftigen und das eine oder andere Werk ins Repertoire zu nehmen.
Norbert Hornig