Franz Schubert

Complete Symphonies & Fragments

L‘Orfeo Barockorchester, Ltg. Michi Gaigg

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: cpo
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 74

Herzlichen Glückwunsch L’Orfeo! Zum Jubiläum anlässlich des 25-jährigen Bestehens des auf historisch informierte Aufführungspraxis spezialisierten Barockorchesters haben Dirigentin Michi Gaigg und ihre Mitstreiter:innen sich selbst und uns allen ein schönes Geburtstagsgeschenk gegönnt: Schubert als Sinfoniker. Alle Sinfonien – nebst allen kleinen und kleinsten Schritten dahin – schön versammelt in einer CD-Box.
Schon wieder eine Gesamtaufnahme der Schubert-Sinfonien? Tja, an Einspielungen der acht Sinfonien samt der Unvollendeten mangelt es ja nun wirklich nicht. Und das nicht nur unter der Stabführung klassisch-romantisch geprägter Klangkörper – auch die Spezialisten für die sogenannte Alte Musik haben schon tief in die Schubert-Partituren geschaut. Lohnt es sich also, nochmals einen weiteren Zyklus anzuhören?
Ja – auf alle Fälle! Das L’Orfeo Barockorchester räumt mit so manchen Schubert-Vorurteilen auf, oder besser gesagt: rückt sie ins rechte Licht. Da wäre zum einen das Klischee von Franz Schubert als Romantiker. Das Coverbild der CD-Box wird von einem Ausschnitt aus dem Gemälde Ruine Eldena im Riesengebirge von Caspar David Friedrich geziert – romantischer geht es wirklich nicht mehr. Unterschwellig wird somit eine Erwartung geweckt, die so erst mal nicht klingend erfüllt wird. Denn Michi Gaigg lässt in den frühen Sinfonien zunächst die Vorbilder des jungen Schubert durchscheinen. Anklänge an Georg Joseph Vogler, Joseph Haydn und die frühen Mozart-Sinfonien sind kaum zu überhören.
Und auch die Aufführung bleibt historisch angehaucht. Die Mannheimer Schule und die Klassiker stehen hier Pate bei der grandiosen Orchesterdisziplin und Geradlinigkeit im Klang. Kein romantisches Überhöhen stört die Linienführung und der wunderbar transparente Klang zeichnet das Ringen des jungen Schubert um die sinfonische Form nach. Was beim Lesen der Trackliste stutzen ließ, nämlich die eingestreuten, oft nur wenige Takte langen Fragmente der frühen Ouvertüren und Werkentwürfe, erschließt sich dann beim Hören: Schuberts Weg zur romantischen Sinfonie wird hörend nachvollziehbar. Und L’Orfeo folgt Schubert gradlinig auf diesem Weg. Stehen die frühen Werke zwar auch in der Ausführung noch immer im Schatten der Klassik, so wird doch der Orchesterklang zunehmend romantischer.
Gerade das hat mich an dieser Einspielung begeistert: Michi Gaigg versucht nicht, den Klischee-Schubert immer und überall hörbar zu machen. Die frühen wie die kleinen Werke behalten ihren mitunter recht spröden, ja fast schülerhaften Klang. Aber die späten Sinfonien entfachen geradezu ein Feuerwerk der Klangfacetten. Agil und charmant führt die Dirigentin ihr Orchester durch die Motive und Entwicklungen, nimmt die Hörenden mit auf die Reise in verhangene und nicht selten verträumte Landschaften. Und somit passt das Coverbild perfekt zur CD-Box. Der Kreis hat sich geschlossen.
Markus Roschinski