Schumann, Robert

Complete Symphonic Works Vol. IV und V

Patricia Kopatchinskaja (Violine), Dénes Várjon/Alexander Lonquich (Klavier), Paul van Zelm/Ludwig Rast/Rainer Jurkiewicz/Joachim Pöltl (Horn), WDR Sinfonieorchester Köln, Ltg. Heinz Holliger

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Audite 97.717 und 97.718
erschienen in: das Orchester 09/2016 , Seite 68

Über Schumanns d-Moll-Violinkonzert, das der Komponist 1853 wenige Monate vor Ausbruch der Krankheit vollendet hatte, wollten seine Frau Clara und der mit den Schumanns befreundete Geiger Joseph Joachim den Mantel des Schweigens hüllen. Ihrer beider Ansicht nach offenbarte das Konzert Schumanns geistige Ermattung. Erst 1937 war das d-Moll-Konzert aus seiner Versenkung wieder hervorgeholt worden, dennoch fand es kaum Berücksichtigung auf den Spielplänen der Konzertpodien.
Erst die jüngeren Einspielungen des Werks sind geeignet, einem grö­ßeren Interessentenkreis das wirkliche und der damaligen Erwartungshaltung gründlich zuwiderlaufende musikalische Ausdruckspotenzial dieses d-Moll-Konzerts nahe zu bringen. Zur Aufnahme mit Isabelle Faust und dem Freiburger Barockorchester haben nun auch Heinz Holliger und seine Solistin Patricia Kopatchinskaja im Rahmen der Gesamtveröffentlichung aller Orchesterwerke Schumanns mit dem WDR Sinfonieorchester Köln ihre Sicht auf das Violinkonzert niedergelegt. Und die dürfte Schumanns Vorstellungen vielleicht sogar noch um einiges näher kommen, als dies Isabelle Faust und den Freiburgern gelungen war.
Da ist einmal gleich in der Orchestereinleitung des Eröffnungssatzes die herausragende Balance der Stimmengewichtung hervorzukehren: Den melodietragenden Linien wird über dem aufgerauten Streicherteppich aus repetierten Tonfolgen richtigerweise ganz der Vorrang eingeräumt, und sogleich löst sich eine gewisse Unruhe und Enge aus dem Klangbild, die sich (wie bei den Freiburgern) bei der Wahl einer gleich gestuften Gewichtung einstellt. Und Holliger räumt der musikalischen Entwicklung auch mehr Innehalten in den lyrischen Momenten ein, bevor er den kraftvollen Zug wieder aufnimmt. Er zeigt sich flexibel genug, dem Augenblick nachzuspüren.
Patricia Kopatchinskaja lässt sich vollkommen ein in die stille Poesie des Ausdrucks von Innerlichkeit und emotionaler Tiefe, die Schumann der Solopartie eingeschrieben hat. Die Solistin meidet allen unangebrachten energischen Gestus, sie kann sich wunderbar zurücknehmen, sie wird dank der vorzüglichen Klangregie Holligers im Miteinander mit dem Orchester wie in den Soloepisoden zu einer nie auftrumpfenden, allenfalls zu einer herausgehobenen Farbe in der Faktur des Satzes.
Man nimmt sich viel Zeit, dem Fortgang Atem einzuhauchen, was zu einem wunderbar organischen musikalischen Fließen führt. Tief berührt der Ausdrucksgedanke des Mittelsatzes, ein filigranes Verwobensein der differenzierten musikalischen Glieder, ohne dass sie aus der gestalterischen Absicht eines einheitlichen Gestus herausfallen würden. Auch im Finalsatz zeigt sich Kopatchinskaja wohltuend gezähmt in den virtuos angelegten Passagen und sie kann auf diese Weise im Verzicht auf allzu viel Präsenz und dank der wohlüberlegten Balance zum Orchester viel eher das Verbindende aufzeigen, das in der Satzstruktur verborgen ist.
Ebenso überwältigend gelingt Holliger mit dem WDR Sinfonieorchester Köln und dem Pianisten Dénes Várjon Schumanns a-Moll-Klavierkonzert op. 54. Sehr lebendig wird dessen Faktur aufgeschlüsselt, feinfühlig werden die beredt angegangenen Gesten dynamisch und agogisch ausformuliert. Allein schon die gemeinsam vom Solisten und dem Orchester in solcher Kongruenz und mit solch feiner dynamischer Zurücknahme absteigenden Akkordbrechungen im Eröffnungssatz sind ein wahres Wunder an Sensitivität. In bestechender Harmonie und in homogenem Verschmelzen erlebt man hier zwischen Solist und Orchester eine Partnerschaft, die den Vorrang in den höchsten Gefilden der Sensibilität des Ausrundens von Phrasenbögen sucht, die in der Satzfaktur die dialogisierenden Strukturen zwischen Solist und Orchester aufspüren will und nicht
einer vordergründigen Profilierung der virtuosen Pranke das Wort redet.
Den Interpreten gelingt so ein bis ins kleinste Detail durchdachter Ansatz, der einen frappierend natürlichen Organismus hervorbringt, wo eines aus dem anderen erwächst. Im Mittelsatz wird die sonst hier meistens zur Schau gestellte muskulöse Kraft wohltuend zu Gunsten von Diffizilität und geistvoller Durchdringung zurückgedrängt, der Finalsatz zeigt sich nachge­rade perfekt austariert, was Transparenz und eine einheitsstiftende Verbindung von Solo- und Orchesterpart anbelangt. Voller Nuancen und Schattierungen bis in die kleinsten Verästelungen zeitigt solches einen unendlichen Gewinn für Schumanns Ausdruckswillen. Mit seinen Konzertstücken wollte Schumann eine neue Konzertform erproben, die sich zwar an die tradierte inhaltliche Auffächerung anlehnt, aber aus nur einem Satz besteht. Alle vier Werke sind auf Vol. V von Holligers Schumann-Edition niedergelegt. Neben der Geigerin Patricia Kopatchinskaja ist der Klaviersolopart hier Alexander Lonquich anvertraut worden.
Auch hier überzeugt der gestalterische Ansatz Holligers und seiner Mitstreiter nachhaltig: Im d-Moll-Konzertstück für Klavier und Orchester op. 131 ist es die biegsame Ausgeglichenheit von Energie und Kantabilität, von Vorwärtsdrängen und sanglichem Nachsinnen, die in Alexander Lonquich einen überzeugenden Anwalt findet, in der Violinfantasie a-Moll op. 134 ist es die ungezwungene Prägnanz der Geigerin, für die Virtuosität niemals Selbstzweck ist und die sich mit einem breiten Spektrum tonlicher Einfärbung und mit sauber gestanzten Arabesken in den aufgelichteten Orchestersatz einfügt. Auch im Konzertstück G-Dur für Klavier und Orchester op. 92 besticht das geschmeidig austarierte Zusammengehen von Soloklavier und Orchester, wobei Lonquich dem Part vielfältigste Facetten abzugewinnen vermag.
Doch ebenso überwältigt hier die vom WDR Sinfonieorchester offengelegte farbenreiche Instrumentation Schumanns, die den immer noch vorgebrachten Vorwurf, er habe nicht orchestrieren können, einmal mehr Lügen straft. Im Konzertstück F-Dur für vier Hörner und Orchester op. 86 verbreiten die hoch versierten Hornisten des WDR Sinfonieorchesters springlebendige energische Schubkraft, aber gleichwohl auch edelsten Glanz.
Thomas Bopp