Grieg, Edvard

Complete Symphonic Works

Vol. IV: Symphony in C minor EG 119 / Piano Concerto in A minor op. 16, Herbert Schuch (Klavier), WDR Sinfonie- orchester Köln, Ltg. Eivind Aadland

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Audite 92.670
erschienen in: das Orchester 02/2015 , Seite 76

Fehlurteile sind in der Rezeptionsgeschichte eines Werks nichts Ungewöhnliches. So erzählt Arthur Rubinstein in seiner Autobiografie, dass „in meinen Berliner Jahren das Grieg-Konzert für unbedeutend galt“ und auch Leonard Bernstein bei einer gemeinsamen Probe gemurrt habe, diese Musik sei „überhaupt nicht der Rede wert“. Doch je mehr sie sich damit beschäftigt hätten, desto lieber wurde es ihnen. Und längst zählt Griegs Klavierkonzert, das er als 25-Jähriger 1868 komponierte, zu den großen spätromantischen Werken seiner Gattung.
Ob der fünf Jahre früher entstandenen c-Moll-Sinfonie, die nach Griegs Willen zwar nie aufgeführt werden sollte, das erste Mal aber 1980 in der Sowjetunion erklang und seither gegen die üblichen Frühwerk-Ressentiments kämpft, eine ähnliche „Karriere“ beschieden ist? Zu wünschen wäre es ihr. Dieses viersätzige Jugendwerk, das zuweilen an Griegs großes Vorbild Schumann erinnert, strahlt eine so mitreißende Kraft der Erfindung und unmittelbare Spontaneität aus, so viel Gespür für die Spannung zwischen lyrischer Kantabilität und drängender Bewegung, zwischen Pathos und Zartheit, dass es sich wunderbar zur Repertoireerweiterung eines Orchesters – durchaus auch guter Liebhaber- oder Schülerorchester – eignet.
Da der norwegische Dirigent Eivind Aadland mit dem WDR Sinfonieorchester all diese Attribute mit liebevoller Detailgenauigkeit und sprühendem Elan ausspielt und weder kernige Klangwucht noch Empfindungstiefe scheut, dürfte es dem Zuhörer ähnlich gehen wie einst Rubinstein und Bernstein: Je öfter er die Sinfonie anhört, desto lieber wird sie ihm… Kurz: Diese bemerkenswerte Talentprobe des jungen Edvard Grieg, in der sein typisch nordisches Idiom schon aufscheint, ist eine bereichernde Entdeckung.
Dagegen leidet das zweite Werk auf der CD gewiss nicht unter mangelnder Wertschätzung. Dem 35-jährigen Pianisten Herbert Schuch, der seit Jahren durch seine hochsensiblen und durchdachten Interpretationen auffällt, gelingt es sogar, Griegs sattsam bekanntem Klavierkonzert a-Moll neue Facetten abzugewinnen. Klangvoll und atmosphärisch dicht entfaltet er im ersten Satz eine geradezu Liszt’sche Grandezza und Eleganz, beschwört im Adagio sanfte Dämmerstimmungen und zaubert im Finalsatz mit federnd-elektrisierendem Rhythmus norwegisches Volksleben herbei. Die reinste pianistische Lustpartie. Und auch das Orchester trumpft nicht, wie häufig bei diesem Konzert, pompös-donnernd auf, sondern besticht durch Elastizität und vielfältige Ausdrucksnuancen. Grieg comme il faut.
Susanne Rudolph